Im März dieses Jahres ging der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme in den Ruhestand. Ein Vorgang wird ihn auch nach dem Ausscheiden aus dem Dienst begleiten: Vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg ist eine Klage der AfD gegen Kühme anhängig. Die AfD hatte Kühme verklagt, weil er in einem Interview pointiert zur AfD Stellung bezogen hatte. Die Begründung der Klage: Polizeipräsident Kühme habe das Mäßigungs- und Neutralitätsgebot missachtet. Es ist offen, wann das Gericht über die Klage entscheidet – Verfahren vor den Verwaltungsgerichten dauern oftmals Jahre.

Der Fall Kühme steht exemplarisch für ein Spannungsfeld, in dem sich viele Verwaltungsmitarbeitende befinden. Sie stehen vor der Frage, wie sie im Dienst für unsere Demokratie und gegen ihre Feinde eintreten können, ohne dass ihnen dafür dienst- oder arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen. Rechtlich geht es dabei um grundsätzliche Fragen der Neutralität und Verfassungstreue des öffentlichen Dienstes. Ein Blick auf die rechtlichen Grundlagen in den Beamtengesetzen und den Tarifverträgen für den öffentlichen Dienst zeigt: Wenn es um den Schutz unserer Verfassung geht, dürfen Mitarbeitende in der Verwaltung klar Position beziehen, auch gegenüber Parteien wie der AfD.

Neutralität relativiert Verfassungstreue nicht

Die Frage, ob und wieweit Mitarbeitende sich politisch neutral verhalten müssen und welche Pflichten sie für den Schutz unserer Verfassung tragen, ist im Beamten- bzw. im Tarifvertragsrecht verortet. Die beamtenrechtlichen Grundpflichten sind für Bundesbeamt:innen in § 60 Bundesbeamtengesetz (BBG), Landesbeamt:innen in § 33 Beamtenstatusgesetz geregelt (BeamtStG). Dazu zählt, sich gegenüber Bürger:innen und Parteien neutral zu verhalten („Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei“, § 60 Absatz 1 BBG) und sich zugleich jederzeit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und für ihre Erhaltung einzutreten – die sogenannte Verfassungstreue (§ 60 Abs. 2 BBG). Auch für Tarifvertragsangestellte gilt, dass sie sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen müssen. Was im Folgenden für Beamt:innen erläutert wird, gilt daher – in ähnlicher Form – auch für die Tarifvertragsbeschäftigten im öffentlichen Dienst.

Das Neutralitätsgebot enthält einerseits eine strukturelle Aussage: Beamt:innen sichern die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, dafür müssen sie parteipolitisch in dem Sinne neutral sein, dass sie jeder verfassungsmäßigen Regierung zur Verfügung stehen. Andererseits enthält es eine individuelle Aussage: Beamt:innen dürfen in ihrer Amtsführung Bürger:innen, auch Vertreter:innen von Parteien, nicht ungleich behandeln. Sie müssen interessens-neutral gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen, gemeinwohlorientiert und nicht-diskriminierend handeln. Die Grenzen des Neutralitätsgebots sind daher erreicht, wenn Beamt:innen in amtlicher Funktion in den Wahlkampf eingreifen, in dem sie bestimmte Parteien unterstützen oder Mittel ihres Dienstherrn für Wahlkampf in eigener Sache in Anspruch nehmen.

Das Neutralitätsgebot ist aber keine unpolitische Neutralitätsideologie, die als Vorwand missbraucht werden kann, um antidemokratischen Positionen mit Gleichgültigkeit zu begegnen. Denn: Die Pflicht zur Verfassungstreue, also jederzeit aktiv für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, wird durch das Neutralitätsgebot nicht relativiert. Beamt:innen dürfen daher gegenüber vielem neutral sein, aber gerade nicht gegenüber unserer Verfassung.

Verfassungsfeindliche Parteien kritisieren

Die Pflicht zur Verfassungstreue ist aber keine Universalermächtigung für Eingriffe in die Rechte von Bürger:innen oder politischen Parteien – die Neutralitäts- und Mäßigungspflichten sowie die Grundrechte Dritter und das Recht der Chancengleichheit der Parteien, setzen der Verfassungsverteidigung Grenzen. Beamt:innen dürfen verfassungsfeindliche Einstellungen daher nicht mit Rechtszwang unterdrücken oder faktisch einschüchtern. Sie müssen solchen Einstellungen aber die Werte der Verfassung entgegenhalten. Die sachliche Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Positionen, konkreten Äußerungen und Verhaltensweisen stellt daher keinen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot dar, sondern steht im Einklang mit den Grundsätzen der Beschäftigung im öffentlichen Dienst.

Das gilt auch für den Umgang mit politischen Parteien, die verfassungsfeindliche Positionen vertreten. Dazu bedarf es keiner Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei, die nach Art. 21 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist. Beamt:innen und Verwaltungsangestellte dürfen auch nicht-verbotenen Parteien entgegentreten, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Verfassungsverteidigung endet also nicht bei einem abstrakten Bekenntnis zu Demokratie und Verfassungsgrundsätzen. Wenn sich eine Partei von den Werten der Verfassung entfernt, ist es die Aufgabe der Verwaltungsmitarbeitenden, daraus konkrete Schlüsse zu ziehen, antidemokratische Verhaltensweisen zu erkennen und darauf hinzuweisen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss zur „Jungen Freiheit“ entschieden, dass Organe und Funktionsträger des Staates die Grundsätze und Wertvorgaben der Verfassung in der öffentlichen Auseinandersetzung verteidigen dürfen, insbesondere wenn sie sich auf Einschätzungen spezialisierter Stellen stützen. Wenn es also Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, etwa Einschätzungen der Verfassungsschutzbehörden und gerichtliche Entscheidungen darüber gibt, dürfen Verwaltungsmitarbeitende diese Erkenntnisse zur Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung, zur Abgrenzung und zur Warnung vor einer verfassungsfeindlichen Partei machen.

Kein Wegducken vor Verfassungsfeinden

Es gehört zu den Strategien verfassungsfeindlicher Parteien, Personen und Institutionen, die sich kritisch über eine Partei äußern, mit Klagedrohungen einzuschüchtern. Deshalb ist es umso wichtiger, dass es in der Verwaltung Menschen wie Johann Kühme gibt, die sich davon nicht abhalten lassen, für demokratische Werte einzustehen.

Dem Ausgang der Klage der AfD gegen ihn kann Kühme auch aus dem Ruhestand gelassen entgegensehen. Kühme hat sich sachlich mit falschen Behauptungen einer vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Partei und deren Folgen für die Polizeiarbeit auseinandergesetzt. Damit hat Kühme – anders als die AfD es glauben machen will – nicht gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, sondern seine Dienstpflicht zur Verfassungstreue mustergültig erfüllt. Es ist zu hoffen, dass das Verwaltungsgericht Oldenburg dies zeitnah auch gerichtlich klarstellt.

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The Bigger Picture

Was bedeutet es, wenn die Verwaltung wie ein Team arbeitet?

Eine Herausforderung staatlichen Handelns ist die Frage, ob der Staat liefert. Oder warum der Staat nicht liefert. Man kann das als „responsiveness“ beschreiben, also das Gefühl, dass da Menschen arbeiten, die verstehen, was die Gesellschaft will, was wir brauchen. Und wenn es hakt, wenn man merkt, dass da etwas nicht so funktioniert, wie es sollte, erkennt man oft, dass es an den Abläufen innerhalb der Verwaltung liegt – wie sie organisiert sind und wie falsche Prioritäten und Partikularismen die Abläufe behindern. Modul F ist ein Beispiel dafür, wie es anders gehen könnte; und verweist doch gleichzeitig auf die Dysfunktionalitäten im System: Wie können alle im Staat arbeitenden Menschen lernen, sich als ein Team Staat zu begreifen? Für diesen kulturellen Wandel müssen sich nicht nur Mitarbeitende aus Bund, Ländern und Kommunen als Kollegen begreifen, es müssen auch die Gräben zwischen Referaten und Abteilungen überwunden werden. Zuständigkeiten haben ihre Funktion, aber wenn eine risikoaverse Kultur des “Das ist nicht meine Zuständigkeit” übernimmt, verliert staatliches Handeln leicht an Dynamik. Spoiler Alert: Auch der Föderalismus hilft hier nicht wirklich weiter.

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