Daten sind Macht. Macht muss in einer Demokratie gerecht verteilt und sinnvoll gestaltet werden. Deshalb sollten Daten immer so genutzt werden, dass sie dem Gemeinwohl zugutekommen.
Francesca Bria, Professorin am UCL Institute for Innovation and Public Purpose in London, Fellow der Mercator Stiftung, Teil des „New European Bauhaus High-Level Roundtable“ der Eurpäischen Kommission und Senior Advisor von Re:Form, ist europaweit die Vorreiterin einer neuen gemeinwohlorientierten digitalen Daten-Ökonomie. Gemeinsam mit der Hamburger Verwaltung setzte sie das Projekt „The New Hanse“ auf, das zeigte, wie private und öffentliche Daten sinnvoll und zukunftsfähig genutzt werden können. Wir bauen bei Re:Form auf dieser Arbeit auf und entwickeln den Ansatz weiter zu „The New Hanse 2.0“.
Ein wichtiges Ergebnis der Hamburger Arbeit war ein Blueprint, der die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Ziel hat: Wie kann privater Datenbesitz, von Unternehmen etwa, so mit der öffentlichen Datennutzung innerhalb der Verwaltung verbunden werden, dass alle davon profitieren? Letztlich: Wie geht besseres Regieren mit mehr Informationen und damit mehr Genauigkeit, mehr Wirkung, mehr Effizienz?
Ziel von „The New Hanse“ war es, städtische Daten durch Unternehmen, Behörden und die Gesellschaft gemeinsam nutzbar zu machen („Business to Government to Society“, B2G2S), um fundiertere öffentliche Entscheidungen zu ermöglichen. Ein konkreter Anwendungsfall war die „Hamburg Data Challenge“, bei der Daten zur Mikromobilität genutzt wurden, um die Stadtplanung zu verbessern und eine Mobilitätsherausforderung zu lösen.
Das Projekt testete innovative Ansätze zur sicheren, ethischen und demokratischen Datennutzung und förderte Ideen aus Start-ups, Universitäten und Bürgerinitiativen. Mit dieser neuen Datenkultur ändert sich auch die Verwaltung – hin zu mehr Elastizität und Offenheit für Kooperationen mit der Zivilgesellschaft.
Aktuell hat die gemeinwohl-orientierte Datenökonomie noch zu viele Hürden. Daten werden in Silos gespeichert und befinden sich meist im Eigentum privater Unternehmen. Und selbst Daten, die sich in staatlicher Hand befinden, sind nur teilweise nutzbar. Es fehlt an Interoperabilität und Datenkompetenz, es gibt kaum Anreize für Datenaustausch und wenig Sicherheit dabei, Daten miteinander zu teilen.
Dabei wächst die Menge der vorhandenen Daten stetig – und damit auch das Geschäft mit den Daten. Wer mit Daten umgehen kann und wer Daten besitzt, wird von dieser Entwicklung profitieren. Wer diese Möglichkeit nicht nutzt, wird abgehängt. Es geht dabei nicht nur um den ökonomischen Aspekt, sondern auch um die Frage, wer die Produkte, Städte, Dienstleistungen und damit die Welt von morgen gestaltet.
Das Ziel von „The New Hanse 2.0“ ist es deshalb, wichtige Akteur:innen in der Demokratie zu befähigen, Daten zu nutzen. Neben zivilgesellschaftlichen Akteur:innen sollten vor allem die Kommunen Daten zur Verfügung haben, um das Leben der Menschen vor Ort besser zu machen – sei es durch effizientere Verwaltung, nachhaltige Verkehrsplanung oder innovative Bildungsangebote.
Aktuell aber folgt die Verteilung von Daten oft einer einfachen Logik: Wer mehr Geld hat, kann auf mehr Daten zugreifen. Viele Kommunen stehen jedoch unter erheblichem finanziellen Druck und verkaufen Nutzungsrechte an ihren Daten deshalb an private Unternehmen. Dies führt dazu, dass wertvolle Daten, die eigentlich dem Gemeinwohl dienen könnten, in die Hände weniger Akteur:innen gelangen, die sie gewinnorientiert nutzen. Die betroffenen Kommunen verlieren damit immer weiter ihre Datensouveränität.
Finanziell stärkere Kommunen hingegen bauen Kapazitäten auf – und kaufen dennoch häufig Daten von privaten Anbieter:innen hinzu. Diese Daten wurden zuvor von den Menschen in der Kommune selbst generiert. Das Paradigma des Marktes verhindert nicht nur Fortschritt, sondern verschärft auch soziale Ungleichheiten – etwa wenn in der einen Kommune das Schwimmbad geschlossen wird, während in der anderen Kommune datenbasiert Barrierefreiheit hergestellt und soziale Teilhabe ermöglicht wird.
Um diese Dynamik zu durchbrechen, müssen wir Daten als öffentliches Gut definieren, wie es Francesca Bria vorschlägt. Das heißt, dass Daten für Gemeinwohlzwecke nutzbar sind. „The New Hanse 2.0“ kann dazu beitragen. Wie schon bei der „alten“ Hanse, ein Städte- und Händlerverbund aus dem Mittelalter, geht es um Standards und sichere Infrastruktur – diesmal für Daten. Es geht darum, dass Städte und Verwaltungen Daten nutzen, um lokale Probleme zu lösen.
„The New Hanse“ hat dafür die Grundlage gelegt. „The New Hanse 2.0“ ist nun ein Ansatz, der neue Modelle der Datenverwaltung und datengesteuerten Innovation im öffentlichen Interesse erforscht, testet und skaliert. Ziel ist es, Strategien für den Austausch von privaten und öffentlichen Daten und datengesteuerte Innovation im öffentlichen Interesse zu implementieren.
Wir wollen damit letztendlich die Voraussetzung schaffen, dass Verwaltungen souverän mit Daten umgehen können. Vor allem, indem sie Daten als Instrument zur Gestaltung nutzen, ob aktiv oder passiv.
Die Demokratisierung der Daten ist keine abstrakte Zukunftsvision, sondern eine dringende Notwendigkeit. Nur durch einen fairen Zugang zu Informationen kann die digitale Transformation zu einem Instrument für Gerechtigkeit und Fortschritt werden – und damit zu einem echten Gewinn für die Demokratie.
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Francesca Bria (2024): The Quest for European Technological Sovereignty: Building the EuroStack.
Dieser Text ist am 9. Januar 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet worden. Melde Dich jetzt an.
The Bigger Picture
Was ist digitale Souveränität? Mit jedem Tweet von Elon Musk, der sich in nationale Politik einmischt, mit jeder Unterwerfungsgeste von Mark Zuckerberg, der die Glaubwürdigkeit oder Demokratiefähigkeit seiner Plattformen Facebook und Instagram gefährdet, mit jeder Studie über die Wirkungen von TikTok auf die jugendliche Psyche wird klarer: Wenn Europa selbst definieren will, was die gesellschaftlichen und politischen Grundlagen sein sollen, dann braucht es einen Plan, wie es sich zwischen den US-amerikanischen und den chinesischen Plattformen positionieren will.
Francesca Bria hat dazu mit anderen das Konzept des EuroStacks entwickelt – um Europas digitale Unabhängigkeit zu bewahren, so schreibt sie, müsse es die Mission der Europäischen Kommission sein, massiv in die öffentliche digitale Infrastruktur zu investieren, „um die Rechte der Bürger:innen zu sichern, die europäische Autonomie und Sicherheit zu gewährleisten, die europäische Wirtschaft zu unterstützen und dem öffentlichen Interesse zu dienen”. Im neuen Kalten Krieg, ob man es will oder nicht, wird die digitale Dimension zu einem geopolitischen Faktor mit innenpolitischen Konsequenzen.
Digitale Services sind entscheidend für Sektoren wie Gesundheit, Energie, Transport und die öffentliche Verwaltung – die Bündelung der Macht unter ein paar Big-Tech-Konzernen ist eine Bedrohung der europäischen Gesellschaften und Demokratien. Wer die Chips herstellt und die Clouds besitzt, wer die Operating Systems und die Entwicklung von Anwendungen kontrolliert, der verfügt nicht nur über immer mehr Daten, sondern auch über immer mehr Macht.
Der „Stack“ ist dabei die gesamte digitale Infrastruktur, die als Ökosystem gedacht wird: „von der Cloud über High-Performance Computing (HCP) und Quantencomputer bis zur offenen und dezentralisierten Entwicklung Künstlicher Intelligenz muss dieses Ökosystem Lösungen für die verschiedensten Dienste und Angebote liefern. Dafür, so Bria, braucht Europa umfassende Datensammlung und Datensicherung, offene Protokolle, die unabhängige und miteinander verbundene Innovation ermöglichen und nicht von der Infrastruktur von AWS, Azure oder Google abhängen.
Brias Plan ist ambitioniert und könnte für Europa der Zukunft das sein, was das Airbus-Projekt und Erasmus in der Vergangenheit waren – die Alternative ist eine technologische Selbstaufgabe eines Kontinents, der oft der alte genannt wird.