In der Daseinsvorsorge klaffen große Lücken. Der Staat ist mit immer weniger Geld immer weniger in der Lage, diese Lücken zu schließen. Sozialunternehmen, die lange in entscheidenden Bereichen von gesellschaftlichen Engpässen arbeiten, können hier eine Lösung anbieten – die den Staat in eine andere Situation und Logik bringt. Nun geht es nicht mehr darum, dass der Staat selbst allein die Strukturen der Daseinsvorsorge schafft – es geht mehr darum, die Schnittstelle zwischen Staat und Sozialunternehmen, zwischen Staat und Zivilgesellschaft zu organisieren.

JOBLINGE ist so ein Beispiel. Seit 2008 geben wir jungen Menschen die Chance, den ersten Schritt auf dem Weg in den Arbeitsmarkt zu gehen. Das Kernprogramm (sechs Monate Vollzeit am Standort) besteht aus verbindlichen Elementen, die durch ein bundesweites Qualitätsmanagement sichergestellt sind. Die Erfolgsbausteine dabei sind das Eins-zu-Eins-Mentoring, eine Vielfalt an Praxiselementen, feste Kooperationen mit Partnern aus der Wirtschaft, eine gemeinnützige Projektarbeit zu Beginn des Programms, das Kultur- und Sportprogramm für Teilnehmende sowie die Arbeit mit multiprofessionellen Teams.

Wir schließen damit die Lücke zwischen Herkunft und Zukunft für junge Menschen mit schwierigen Startbedingungen beim Einstieg in den Beruf. In Zahlen ausgedrückt: Seit Gründung hatten wir über 16.500 Teilnehmende und eine Vermittlungsquote von über 75 Prozent. Die Anzahl der vermittelten Teilnehmenden, die sechs Monate nach Ausbildungsbeginn noch in Ausbildung sind, liegt bei über 80 Prozent. Das bedeutet auch: Bezogen auf unser Kernprogramm ergeben sich für den Staat pro nachhaltig vermittelter Person nach zehn Jahren Gesamteinsparungen von rund 140.000 Euro
 
Wir wissen, dass zum Einstieg in den Beruf auch Netzwerke gehören – deshalb binden wir Wirtschaft, Zivilgesellschaft und öffentliche Hand aktiv in unsere Arbeit ein. Wir handeln nach der Maxime, die größtmögliche Wirkung für Jugendliche zu ermöglichen – denn auf dem Weg aus der Schule bis zum Berufsabschluss liegen verschiedene Systeme quer zueinander, was zu Brüchen in Bildungsbiografien führt. Schulen etwa arbeiten immer noch auf den Abschluss statt auf einen Anschluss hin – die echte Arbeitswelt kommt in diesem System zu selten und zu spät vor. 
 
Wir machen dabei, anders als viele klassische Träger im Übergangssystem, nicht das, wofür es eine Finanzierung gibt, sondern das, was maximale Wirkung für die Zielgruppe erreicht – und finden basierend darauf Wege, diese Tätigkeiten umzusetzen und zu finanzieren. Unsere Partner auf Seiten der öffentlichen Hand sind vor allem kommunale Jobcenter und die Bundesagenturen für Arbeit, teilweise auch Jugendämter und Jugendberufsagenturen sowie die Kommunen selbst. Auf der übergeordneten Ebene stehen wir mit Regionaldirektionen und Einkaufszentren der Bundesagenturen für Arbeit in Kontakt sowie mit Landesministerien, Landesförderbanken als auch der Bundesebene (vor allem mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung). 

Wichtig ist, dass der Staat weniger reaktiv ist und mehr gestaltend wirkt. Bislang fördert die öffentliche Finanzierungslogik keine Erfolge oder Outcomes, sondern bestärkt das Vorhalten von Kapazitäten und das Erfüllen von Vorgaben. Für eine weitere Skalierung mit der öffentlichen Hand fehlen also die passenden Finanzierungswege, die bewiesen wirkungsvolle Programme fördern

Das würde eine andere Staatslogik erfordern und vor allem eine andere Art, Probleme zu lösen. Denn eine bessere Problemlösung gelingt nicht durch mehr Geld oder mehr Förderprogrammen, sondern dadurch, öffentliche Gelder wirkungsbasiert einzusetzen, wodurch mittel- bis langfristig sogar weniger Gelder benötigt würden. 

Ein zukunftsfähiger Staat kann Probleme dadurch lösen, dass der Weg dorthin nicht vorgegeben und rechtlich abgesichert wird, sondern indem vom Ziel her gedacht und gefördert wird – also beispielsweise öffentliche Förderprogramme, die Vermittlung von arbeitslosen Jugendlichen in Arbeit finanzieren und nicht, wie heute, die Zeit, die sie in Maßnahmen verbringen. 

Das erfordert einen lernenden Staat, der in der Lage ist, evidenzbasiert zu handeln und der im Übrigen dadurch seinen Bürger:innen auch etwas zutraut und sie ernst nimmt – und so auch in Zukunft komplexe Probleme lösen kann. 

 

Mehr erfahren: JOBLINGE

 

Dieser Text ist am 5. Dezember 2024 in unserem Re:Form-Newsletter versendet worden. Melde Dich jetzt an

Georg Diez

The Bigger Picture

Die gestaltende Zivilgesellschaft ist ein essentieller Teil einer funktionierenden Demokratie – und wird bislang nicht mit voller Wirkung in die politische Praxis eingebaut. Dabei entstehen in der Zivilgesellschaft die innovativen Lösungen, die skaliert werden können, dabei gibt es hier die Freiheit, die Energie und auch den Idealismus, staatliches Handeln nicht nur zu ergänzen, sondern die demokratische Praxis nachhaltig zu verändern und leistungsfähigere Lösungen zu entwickeln.

Um das zu ermöglichen, ist ein anderes Denken an den Schnittstellen zwischen Staat und Zivilgesellschaft notwendig: Wie kann der Übergang von einer Experimentier- oder Projektphase in eine stetige Praxis gelingen? In der Konsequenz bedeutet das auch eine andere demokratische Logik: Nicht der Staat macht die Vorgaben, wie eine Maßnahme erfolgreich umgesetzt werden kann. Der Staat setzt Ziele: Etwa möglichst viele junge Menschen in Arbeit zu bekommen. Die Wege, um dieses Ziel zu erreichen, sind wiederum offen für eine Vielzahl von Ideen und Initiativen.

Der Staat entwickelt damit einen inkubatorischen Charakter. Er sieht und sichtet, verfolgt und fördert die Programme, die Wirkung haben. Die staatliche Praxis wird dadurch variabler, anpassungsfähiger, schneller, sie wird aber vor allem effektiver, was Kosten und Outcome angeht. Verantwortung wird dabei nicht „nach unten“ delegiert, Verantwortung wird als gemeinsames Gut gesehen, etwas, das Staat und Zivilgesellschaft teilen und, wie es in einer Demokratie sein sollte, „von unten“ wächst

Verantwortung, anders gesagt, entsteht aus der Praxis, sie entsteht nicht aus abstrakten Vorgaben, sondern aus konkretem Tun. So wird Vertrauen in staatliches Handeln geschaffen, weil sich der Staat als präsent zeigt, aber den Menschen genug Möglichkeiten gibt, selbst Teil eines demokratischen Design-Prozesses zu werden. Man kann es auch Stakeholder-Demokratie nennen.

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