Governance ist ein schillernder Begriff, der „Regieren“ wie „Steuern“ meinen kann, aber auch die Organisation und geregelten Abläufe eines Systems umfasst. Der Begriff hat sich etabliert, wenn es um das Zusammenspiel der verschiedenen politischen Ebenen geht.

Multi-Level-Governance beschreibt dabei einen Anspruch auf echtes, gemeinsames Zusammenwirken. Der deutsche Begriff „Mehrebenensystem“ bringt das nicht zum Ausdruck. Er ist statisch, deskriptiv. Ein Mehrebenensystem haben wir schon jetzt, eine echte Multi-Level-Governance nicht.

Bei ihr geht es um weit mehr als um einfache „Zusammenarbeit“, die jeden Tag irgendwo stattfindet. Wenn die Vertretung eines Ministeriums zur Schecküberreichung beim Spatenstich in die Kommune kommt, symbolisiert dies Zusammenarbeit, aber nicht Multi-Level-Governance. Denn diese verlangt, dass alle Ebenen am Design der Politik durch Beratung mitwirken können. Und sie verlangt, dass der Versuch unternommen wird, das Handeln aufeinander abzustimmen.

Das Nicht-gehört-Werden der Städte bei der Politikgestaltung ist ein weltweites Phänomen, das immer mehr zu einer globalen Reformbewegung der Städte führt. Sie wollen nicht mehr hinnehmen, wie sehr Nationalstaaten nicht nur ihre eigenen Ziele verfehlen, sondern den Erfolg kommunaler Politik begrenzen. Über 300 internationale Netzwerke von Kommunen sind entstanden. Und nach und nach rückt für alle die Frage einer echten Multi-Level-Governance und institutioneller Reformen ins Zentrum. 

Noch bleiben die Türen zu den Verhandlungsräumen der Nationalstaaten den Kommunen verschlossen. Denn der Widerstand gegen eine Öffnung ist auch hierzulande erheblich, obwohl die Reformen auch im Interesse zumindest der demokratischen Nationalstaaten wären. Denn selbst im ureigensten nationalen Thema, der Außenpolitik, können Kommunen eine viel wichtigere Rolle übernehmen. So finden sich beispielsweise selbst in autoritären Staaten oft kommunale Partner für multilaterale Politik, die von Nationalstaaten jedoch nicht direkt angesprochen werden können. Dies könnten Kommunen untereinander übernehmen.

Direkte Kooperationen zwischen Städten sind überdies effektiver, glaubwürdiger als nationale Programme der Zusammenarbeit und haben eine in die Bevölkerung wirkende, politische Dimension. Eine Klimastrategie oder eine europäische Afrikastrategie hätten mit Einbindung der Kommunen eine höhere Wirksamkeit. Und wer auf einer Partnerschaftskonferenz erlebt, wie selbstverständlich z.B. eine türkische und eine israelische kommunale Delegation miteinander umgehen können, weiß um die nach wie vor bestehenden Potenziale für Verständigung, die kommunale Außenpolitik bieten kann.

Echte Multi-Level-Governance mit ihren notwendigen Abstimmungen, das klingt erst einmal nach mehr Arbeit und Verlangsamung; auch wenn es Qualität sichert und damit die Umsetzung verbessert. Entscheidend ist deshalb ebenso die zweite Dimension, die zu einer echten Multi-Level-Governance gehört: Agilität. Das Einbeziehen der Kommunen mit ihren direkten Erfahrungen vor Ort schafft keine veränderte Politik ohne ständige Reflexion über die Wirksamkeit des gemeinsamen Handelns, über Erfolg und Misserfolg und eine Bereitschaft zur Korrektur. Zusammengefasst:

Multi-Level-Governance ist institutionenübergreifendes, institutionelles Lernen. Wir sind leider noch weit davon entfernt, dass dies breite Überzeugung wäre. Das gilt sowohl für das Verständnis als lernendes System wie für die Bereitschaft, Kommunen am Design von Politik teilhaben zu lassen. ´Es kann ja nicht sein, dass die Kommunen dem Bund sagen, was er zu machen hat´, bekam ich zur Antwort, als wir einer Bundespolitikerin erklärten, dass ein gesetzgeberisches Vorhaben in der Praxis nicht funktionieren wird. Dabei geht es nicht darum, wer wem eine Ansage macht. Wir müssen beschreiben, was wirken und was nicht wirken kann, und ein ernsthaftes Reflektieren darüber und Konsequenzen daraus sind zwingend.

Ein solcher Prozess kann auch helfen, die dominanten internen ´Systemlogiken´ einzudämmen, die alle mit der sachlichen Zielsetzung nichts zu tun haben und damit strukturell dysfunktional sind. Nur mit einem neuen Modus, der den multiplen Krisen gerecht wird, ist der faktische Vorrang von Koalitionsarithmetik, Zuständigkeitsgerangel, angenommener öffentlicher Meinung, regionalem Proporz bis zu Finanzierungstechniken einzudämmen.

Der Think Tank ´Demos Helsinki´ hat 2020 einem Ansatz für die finnische Regierung, Reformen als lernendes System anzugehen, die Überschrift ´Humble Government´ gegeben. Gemeint ist ein Regieren, das nicht Allwissenheit behauptet, sondern stattdessen Korrekturen von vornherein mitdenkt. Das sich in diesem Sinne »bescheiden« bzw. mit der notwendigen Demut auf die Erzielung von Ergebnissen konzentriert.

Das alles verlangt nicht dramatisch viel. Man muss nicht gleich die verfassungsrechtlichen Fragen bei der Überwindung von Kooperationsverboten zwischen Bund und Kommunen und der Gründung neuer Gremien aufwerfen. Eine grundlegende veränderte Haltung ist der Schlüssel. Und eine neue Praxis – z.B. mit informellen Treffen, wie vielfältig erprobt – wäre schnell zu realisieren und könnte viel bewegen.

Peter Kurz war von 2007 bis 2023 Oberbürgermeister von Mannheim. Der Text ist ein Auszug seinem Buch „Gute Politik. Was wir dafür brauchen”, S. 23 - 26, das gerade im Fischer Verlag erschienen ist. © S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstraße 114, 60596 Frankfurt am Main.

The Bigger Picture

Was bedeutet es, wenn die Verwaltung wie ein Team arbeitet?

Eine Herausforderung staatlichen Handelns ist die Frage, ob der Staat liefert. Oder warum der Staat nicht liefert. Man kann das als „responsiveness“ beschreiben, also das Gefühl, dass da Menschen arbeiten, die verstehen, was die Gesellschaft will, was wir brauchen. Und wenn es hakt, wenn man merkt, dass da etwas nicht so funktioniert, wie es sollte, erkennt man oft, dass es an den Abläufen innerhalb der Verwaltung liegt – wie sie organisiert sind und wie falsche Prioritäten und Partikularismen die Abläufe behindern. Modul F ist ein Beispiel dafür, wie es anders gehen könnte; und verweist doch gleichzeitig auf die Dysfunktionalitäten im System: Wie können alle im Staat arbeitenden Menschen lernen, sich als ein Team Staat zu begreifen? Für diesen kulturellen Wandel müssen sich nicht nur Mitarbeitende aus Bund, Ländern und Kommunen als Kollegen begreifen, es müssen auch die Gräben zwischen Referaten und Abteilungen überwunden werden. Zuständigkeiten haben ihre Funktion, aber wenn eine risikoaverse Kultur des “Das ist nicht meine Zuständigkeit” übernimmt, verliert staatliches Handeln leicht an Dynamik. Spoiler Alert: Auch der Föderalismus hilft hier nicht wirklich weiter.

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