Was wäre, wenn die Verwaltung Wir­kungs­zie­le setzen würde?

Hermann Amecke, Senior Policy Officer, Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Ver­brau­cher­schutz

Ich bin in die Verwaltung gegangen, weil ich davon überzeugt bin, dass hier der richtige Ort ist, um die dringend notwendigen Ver­än­de­run­gen in unserer Ge­sell­schaft vor­an­zu­brin­gen. Meine Kolleg:innen und ich arbeiten im Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Ver­brau­cher­schutz (BMUV) an den zentralen Themen unserer Zeit – unter anderem dem Umwelt- und Klimaschutz. Ich möchte hier meinen Beitrag leisten, damit die Welt ein Stück weit besser wird. Und das geht nur, wenn wir einen effizienten Staat mit gut durch­dach­ten Prozessen haben.

Wie aber bekommen wir das hin? Im Um­welt­mi­nis­te­ri­um darf ich täglich mit Menschen zu­sam­men­ar­bei­ten, die Ideale haben, die motiviert sind, die nach vorne schauen. Gleich­zei­tig führen genau dieser Idealismus und das Gefühl, an fundamental wichtigen Themen zu arbeiten, oft zu Über­for­de­rung und dem Gefühl mangelnder Selbst­wirk­sam­keit. Um unsere Umwelt zu schützen, so scheint es, darf nichts de­prio­ri­siert werden. Die Auf­ga­ben­pa­ke­te für jeden und jede Einzelne:n werden immer größer. Und Fehler dürfen nicht passieren. Zu wichtig ist die Aufgabe, zu groß ist das Augenmerk der Öf­fent­lich­keit.
 
Deshalb habe ich vor einigen Jahren zusammen mit ein paar Kolleginnen und Kollegen eine Ar­beits­grup­pe gegründet. Die zentrale Frage für uns war: Wie können wir unsere Arbeit strategisch so or­ga­ni­sie­ren, dass wir moderne Ma­nage­ment­tech­ni­ken, offene Feed­back­kul­tur und psychische Gesundheit als neue Normen etablieren?
 
Eine erste These war: Ein wichtiger Hebel ist es, Ziele zu setzen, Prioritäten zu formulieren und damit auch Nach­ran­gig­kei­ten. Zudem war das Fehlen von Feedback einer der zentralen Schmerz­punk­te. Klar war uns aber auch, dass es im Ministerium bisher wenig stan­dar­di­sier­te Prozesse für diese Themen gab. Im vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um des Innern und für Heimat (BMI) und Bun­des­ver­wal­tungs­amt (BVA) her­aus­ge­ge­be­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons­hand­buch des Bundes wurde erst kürzlich ein umfassender Beitrag zum Thema Strategie aufgenommen.
 
Das hatte zur Folge, dass in den einzelnen Ar­beits­ein­hei­ten ganz un­ter­schied­li­che Erfahrungen und Wis­sens­stän­de hin­sicht­lich des Setzens von Zielen, Prioritäten und Nach­ran­gig­kei­ten sowie zu Feed­back­pro­zes­sen bestanden. Zudem kam eine 1:1-Einführung von Methoden aus dem Pri­vat­sek­tor auch nicht infrage. Zu un­ter­schied­lich sind die Rah­men­be­din­gun­gen, zu wenig monetär oder quantitativ messbare Ergebnisse gibt es in der Verwaltung. Damit war klar: Es braucht mehr als eine Ar­beits­grup­pe zur Einführung einer Methode, es braucht einen echten Change-Prozess.
 
Mit der Un­ter­stüt­zung einer Fellow über Work4Germany haben wir zunächst mit etwa der Hälfte aller Füh­rungs­kräf­te in einer Abteilung freiwillige Interviews geführt und evaluiert: Was läuft gut, was läuft schlecht, was ist gewünscht? In den Antworten kam viel Wert­schät­zung für das BMUV zum Ausdruck, gleich­zei­tig aber auch ein großer Wunsch nach Veränderung.
 
Eine Re­fe­rats­lei­te­rin sagte etwa: „Das kurzfristig Dringliche verdrängt das langfristig Stra­te­gi­sche fast komplett”. Eine andere sagte: „Wir müssen uns endlich mal von unten nach oben überlegen, was wir eigentlich machen wollen und was nicht”.
 
Wir sind dabei immer mit der Haltung des Zuhörens in die Gespräche gegangen, wir haben keine Lösungen parat gehabt, wir wollten erstmal verstehen, pilotieren, anpassen, skalieren. Unser Ansatz: Tür aufmachen, Relevanz schaffen, Ressourcen und Interesse bekommen für einen ersten Piloten. Auf der Basis dieser Interviews haben wir uns nach Methoden umgeschaut. Gefunden haben wir „Objectives and Key Results“ (OKR) und haben diese Methode – gemeinsam mit den Pi­lot­re­fe­ra­ten – als ‚OKR Light‘ an das Ministerium angepasst. Das hat funk­tio­niert. Nach den ersten vier Piloten waren alle in einer ersten Evaluation überzeugt: Die Methode ist noch nicht perfekt, aber genau so etwas brauchen wir für unsere Abteilung und am besten sogar für das ganze Haus; weil es bei der Prio­ri­sie­rung hilft und gleich­zei­tig die Team­zu­sam­men­ar­beit verbessert.
 
Wir hatten bei all dem viel Glück. Zum einen, weil im Um­welt­mi­nis­te­ri­um so viele motivierte Menschen arbeiten, die auch gegen struk­tu­rel­le Widerstände viel erreichen möchten. Hier schuf die Frustration mit den bisherigen Ar­beits­wei­sen be­zie­hungs­wei­se Überlastung gleich­zei­tig Offenheit für Wandel.
 
Das zweite große Glück war, dass eine unserer ersten Pi­lot­re­fe­rats­lei­te­rin­nen, Andrea Meyer, nach dem Re­gie­rungs­wech­sel Ende 2021 Leiterin der Zen­tral­ab­tei­lung wurde und großen Wert darauf legte, OKR Light, in die Breite ins Ministerium zu tragen. So wurde aus einem Piloten einer Fach­ab­tei­lung, in dem ich quasi neben meinem ei­gent­li­chen Job Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­ra­tung machte, eine feste Aufgabe mit ent­spre­chen­den Per­so­nal­res­sour­cen im Or­ga­ni­sa­ti­ons­re­fe­rat des BMUV.
 
Auch nachdem wir die Un­ter­stüt­zung der Ab­tei­lungs­lei­tung Z hatten, sind wir unseren Prinzipien treu geblieben: Da hingehen, wo Füh­rungs­kräf­te strategisch steuern und die Methode freiwillig einführen wollen. Das Vorgehen stets an das jeweilige Team und dessen konkrete Bedarfe anpassen. Die Vor­ge­hens­wei­se über Feed­back­run­den und Wis­sens­aus­tausch ständig hin­ter­fra­gen und wei­ter­ent­wi­ckeln.  Auf dieser Basis haben wir schon erhebliche Fort­schrit­te erzielt. Hier ein paar Zahlen und Fakten:
 
  • Das OKR Light-Team begleitet 10% der Be­schäf­tig­ten des BMUV auf un­ter­schied­li­chen Ebenen in vier von neun Abteilungen.
  • Kein Team, das mit der OKR Light-Begleitung begonnen hat, ist ab­ge­sprun­gen. Manchmal ändert sich der Fokus, etwa weil ein Team den Bedarf hat, zuerst an Vision und Mission zu arbeiten. Aber es bleibt der Wunsch nach der me­tho­di­schen Begleitung und Veränderung.
  • Die Be­schäf­tig­ten un­ter­strei­chen in Eva­lua­tio­nen, dass sich mit unserer Begleitung die Ziel- und Prio­ri­tä­ten­set­zung sowie die Team­zu­sam­men­ar­beit verbessert hat.
  • In jedem Team – außer auf höheren Füh­rungs­ebe­nen – haben wir zwei OKR Light-Moderator:innen ausgebildet, die die lang­fris­ti­ge Umsetzung in den Teams si­cher­stel­len.
  • Die positive Wirkung hat sich her­um­ge­spro­chen. So setzen inzwischen auch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Digitales und Verkehr (BMDV) OKR Light in jeweils einer Abteilung ein.
 
Auch wenn dies also eine Er­folgs­ge­schich­te ist, bleibt die Einführung von OKRs in einem Ministerium eine Her­aus­for­de­rung. In fast allen Teams herrschen hoher Druck, das Gefühl, keine Zeit für Planung zu haben, eine tra­di­tio­nell eingeübte Vor­sichts­kul­tur und das interne Bedürfnis sowie die externe Erwartung nach hoher Pro­zess­si­cher­heit. Oft gibt es externe Ab­hän­gig­kei­ten, eine hohe Volatilität, hohe Op­por­tu­ni­täts­kos­ten (Nach­ran­gig­kei­ten setzen ist schmerzhaft, wenn im Grunde alles wichtige Aufgaben sind), wenig Feedback-Formate. Drei Dinge haben uns aber zum Erfolg verholfen:
 
  • Erstens: Die allgemeine hohe Motivation im BMUV. Wir haben zudem immer mit den Mo­ti­vier­tes­ten angefangen, bis sich der Erfolg her­um­ge­spro­chen hat.
  • Zweitens: Geduld. Der Erfolg stellt sich nicht direkt nach dem ersten (meist drei­mo­na­ti­gen) Zyklus ein, sondern meist erst nach zwei oder drei Zyklen. Das Potential muss aber früh erkennbar sein.
  • Drittens: Eine umfassende Begleitung der Einführung. Die Methode ist keine Ra­ke­ten­wis­sen­schaft, die Veränderung braucht aber Expertise im Change Management. Zudem haben wir die Methode immer wieder angepasst und aus Fehlern gelernt.
 
So ist, mit vielen motivierten Menschen, aus einer kleinen Bottom-Up-Initiative eine feste Institution geworden, die es in einem Bun­des­mi­nis­te­ri­um so bisher noch nicht gab. Dieser Erfolg beruht auf den Beiträgen vieler. Zentral war natürlich die Un­ter­stüt­zung von Z-Nach­bar­re­fe­ra­ten, der Z-Hierarchie und der Hausleitung des BMUV. Ent­schei­dend waren aber ebenso das tolle OKR Light-Team sowie die vielen mutigen Be­schäf­tig­ten und Füh­rungs­kräf­te des Hauses, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben.
 
Der Weg war gerade zu Anfang kräf­te­zeh­rend. Aber gemeinsam konnten wir zeigen, was möglich ist. Und am Ende machen wir dadurch auch noch bessere Um­welt­po­li­tik.

Diesen Beitrag haben wir am 24. April 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet. Melde Dich jetzt an.