Was wäre, wenn die neue Bun­des­re­gie­rung eine bessere Integration in den Ar­beits­markt ermöglichen würde?

Kadim Tas, CEO des JOBLINGE e.V.

Stellen wir uns vor, wir schreiben das Jahr 2029. Vier Jahre sind vergangen – vier Jahre mutiger Ent­schei­dun­gen und kluger Reformen der neu gewählten Bun­des­re­gie­rung. Ar­beits­markt­po­li­tik ermöglicht echte soziale Mobilität, indem die Potenziale junger Menschen gestärkt werden – anstatt ihre Defizite zu verwalten. Kurz bevor auch der letzte Teil der Babyboomer in Rente gehen wird, hat ein hand­lungs­fä­hi­ger Staat den Fach­kräf­te­man­gel durch wir­kungs­vol­le Politik in den Griff bekommen und eine spürbare Wirtschafts- und Sozialwende eingeleitet. Wie konnte das gelingen? Ein Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment.  

2029 hat sich die Ar­beits­markt­po­li­tik grundlegend gewandelt: Im Mittelpunkt steht die Erkenntnis, dass jeder junge Mensch mit der passgenauen Un­ter­stüt­zung den eigenen Weg gehen kann. Der Begriff „Aus­bil­dungs­rei­fe“ ist passé – nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Unternehmen. Wir haben erkannt, dass ein de­fi­zit­ori­en­tier­ter Blick auf junge Menschen ungerecht ist und der Nach­wuchs­si­che­rung schadet. 2029 öffnen Unternehmen ihre Türen für Bewerber:innen mit viel­fäl­ti­gen Hin­ter­grün­den – sie setzen auf Engagement, Kreativität und So­zi­al­kom­pe­tenz statt nur auf Schulnoten.

Eine umfassende Aus­bil­dungs­of­fen­si­ve bringt dafür Unternehmen und Talente frühzeitig zusammen, bevor Potenziale verloren gehen. Bereits ab der 7. Klasse erhalten Jugendliche echte Pra­xis­ein­bli­cke in Unternehmen, in­di­vi­du­el­le Un­ter­stüt­zung durch Mentoring und fä­cher­über­grei­fen­de Be­rufs­ori­en­tie­rung.

Angesichts de­mo­gra­fi­scher Ver­än­de­run­gen haben wir erkannt: Schulen müssen mehr schaffen, als aus­schließ­lich einen Abschluss si­cher­zu­stel­len – sie müssen Anschlüsse ermöglichen. Allerdings stehen sie bei dieser Aufgabe nicht alleine da: Au­ßer­schu­li­sche Akteure aus der Zi­vil­ge­sell­schaft flankieren diesen Wandel mit ihren Stärken, indem sie Stakeholder managen, Wis­sens­trans­fers gestalten und Akteure vernetzen. Und auch Unternehmen sind ebenso selbst­ver­ständ­lich in Schulen präsent. So nutzen wir 2029 diese Kompetenzen, um den Übergang von der Schule in den Beruf für alle jungen Menschen erfolgreich zu gestalten.

Im Jahr 2029 ist die duale Ausbildung außerdem keine zweite Wahl, sondern eine echte Zu­kunfts­per­spek­ti­ve. Junge Menschen sind stolz auf ihre beruflichen Biografien, erfahren Wert­schät­zung und sehen lang­fris­ti­ge Ent­wick­lungs­chan­cen. Sie müssen sich nicht mehr aus fi­nan­zi­el­ler Not für teils prekäre Jobs entscheiden. Denn eine Ausbildung ist weit mehr als Fach­kräf­te­si­che­rung – sie ist der Schlüssel zur Ei­gen­stän­dig­keit, Un­ab­hän­gig­keit von staatlicher Hilfe und zur aktiven Gestaltung der eigenen Zukunft.

Ein funk­tio­nie­ren­des Über­gangs­sys­tem verhindert zugleich War­te­schlei­fen und ermöglicht jungen Menschen eine schnelle, passgenaue Vermittlung in Ausbildung – mit klaren Strukturen, in­di­vi­du­el­ler Begleitung und echten Chancen in Unternehmen. Kein Talent bleibt ungenutzt, keine Perspektive bleibt unentdeckt. Programme und Angebote basieren deshalb auf klaren Wirk­prin­zi­pi­en und lassen sich am Erreichen ihrer Erfolge messen.

Im Jahr 2029 hat sich auch die Art und Weise, wie öffentliche Gelder vergeben werden, verändert: Sie werden dort eingesetzt, wo sie nach­weis­lich wirken

Ar­beits­markt­pro­gram­me werden nicht nach der Ver­weil­dau­er von Teil­neh­men­den oder starren Vorgaben finanziert, sondern nach ihrer tat­säch­li­chen Wirkung: Bringen sie junge Menschen nachhaltig in Ausbildung und Arbeit? Die Antwort darauf bestimmt, welche Maßnahmen aus­ge­schrie­ben und gefördert werden. Dazu gehört auch, dass allen Bürgern die Wir­kungs­bi­lan­zen des So­zi­al­staa­tes – durch trans­pa­ren­te Bil­dungs­ver­laufs­da­ten – offen zugänglich sind, denn Steu­er­gel­der werden nur dort investiert, wo sie tatsächlich etwas bewegen.

2029 hat sich eine zentrale Erkenntnis verankert: Jeder junge Mensch verdient Ent­wick­lungs­chan­cen – und wir denken persönliche Werdegänge stets nach oben. Gemeinsam haben wir ein System geschaffen, das nicht Defizite, sondern Mög­lich­kei­ten aufzeigt. Lange Zeit wurde von un­mo­ti­vier­ten Ju­gend­li­chen gesprochen. Doch 2029 haben wir erkannt: Es ging nie um Faulheit, sondern um un­ter­schied­li­che Le­bens­rea­li­tä­ten, in denen junge Menschen bei­spiels­wei­se schon früh Ver­ant­wor­tung übernehmen mussten, bevor sie überhaupt die Chance hatten, sich selbst zu entfalten. Als Ge­sell­schaft und Staat lassen wir sie nicht mehr allein: Pädagog:innen sind au­then­ti­sche Vorbilder, die sich an Potenzialen orientieren, Leitplanken setzen, Ori­en­tie­rung bieten und Ver­bind­lich­keit leben.

In vier Jahren werden auch Begegnungen zwischen un­ter­schied­li­chen ge­sell­schaft­li­chen Gruppen zur Normalität geworden sein: Und wir haben verstanden, was schon lange wis­sen­schaft­lich bestätigt ist: Mentoring-Programme wirken, auch im Bereich der Ar­beits­markt­in­te­gra­ti­on. Sie schaffen Räume, in denen sich ver­schie­de­ne Welten nicht mehr künstlich durch Un­ter­schie­de voneinander abgrenzen, sondern in denen sie voneinander lernen. Bis 2029 haben wir ein System geschaffen, das Chan­cen­gleich­heit nicht nur verspricht, sondern ver­wirk­licht. Junge Menschen werden nicht bewertet, sondern gehört; ihre Le­bens­rea­li­tä­ten werden anerkannt. Mit Mut und guter Politik stellen wir uns den Fragen, die sie an uns stellen.

Klingt das nicht nach einer viel­ver­spre­chen­den Zukunft? 2025 ist das Jahr der Wei­chen­stel­lun­gen dafür. Angesichts der drängenden Zu­kunfts­fra­gen Deutsch­lands können und müssen wir kluge Ent­schei­dun­gen treffen, um den richtigen Weg zu ebnen. Jetzt gilt es, die stärksten Kräfte aus Wirtschaft, Zi­vil­ge­sell­schaft, Wis­sen­schaft und öf­fent­li­cher Hand zu bündeln – für echte Zu­kunfts­per­spek­ti­ven junger Menschen und eine wi­der­stands­fä­hi­ge Wirtschaft. Eine uni­ons­ge­führ­te Bun­des­re­gie­rung und ihr vor­aus­sicht­li­cher Ko­ali­ti­ons­part­ner, die SPD, müssen jetzt liefern und den Fach­kräf­te­man­gel in einer kriselnden Wirtschaft ent­schlos­sen angehen. Ihre Wahl­pro­gram­me bieten viel­ver­spre­chen­de Ansätze – doch Versprechen alleine reichen nicht. Es ist Zeit für die Umsetzung.

Union und SPD formulieren in ihren Wahl­pro­gram­men klare Ziele, bei­spiels­wei­se zur Senkung der Zahl von sog. NEETs (Not in Education, Employment or Training) oder zu res­sort­über­grei­fen­den Strategien (Mis­si­ons­ori­en­tie­rung) zur Bewältigung großer Fra­ge­stel­lung. Und völlig zu Recht betonen sie, dass öffentliche Gelder knapp sind. Genau in der Verbindung dieser drei The­men­fel­der liegt eine enorme Chance für Deutschland: Das Er­werbs­po­ten­zi­al gerade von jungen Menschen lässt sich in den kommenden vier Jahren heben, indem wir Angebote der Ar­beits­för­de­rung wir­kungs­ba­siert ausrichten und die besten Lösungen skalieren. So sparen wir nicht nur öffentliche Mittel beim Bürgergeld, sondern bringen Fachkräfte in Betriebe, die wiederum zu Mehr­ein­nah­men durch Steuern und Abgaben beitragen. Eine echte Win-Win-Win Situation, denn natürlich entstehen so auch attraktive in­di­vi­du­el­le Per­spek­ti­ven.

Wenn unsere Priorität also nicht länger auf der möglichst rechts­si­che­ren Mit­tel­ver­ga­be im Vorhinein liegt, sondern auf dem, was wirklich zählt, nämlich einer schnellen und nach­hal­ti­gen Integration junger Menschen in Ausbildung, kann ein agiler Sozialstaat entstehen. Ein Sozialstaat, der Wettbewerb fördert, die besten Angebote belohnt und seine Fi­nanz­mit­tel wir­kungs­voll einsetzt. Die gute Nachricht? Das alles ist keine allzu ferne Zu­kunfts­vi­si­on und eine er­folg­rei­che Ar­beits­markt­in­te­gra­ti­on ist keine Blackbox – das Wissen ist da

Bei JOBLINGE zeigen wir tagtäglich gemeinsam mit starken Partnern aus Wirtschaft, Zi­vil­ge­sell­schaft und öf­fent­li­cher Hand, wie es funk­tio­niert. Die neue Bun­des­re­gie­rung hat jetzt die vielleicht einmalige Chance, die ent­schei­den­den Weichen dafür zu stellen. Denn junge Menschen sind das Fundament unserer wirt­schaft­li­chen und sozialen Zukunft. Es braucht eine mutige Wirtschafts- und Sozialwende. Ein hand­lungs­fä­hi­ger Staat ist der Schlüssel, um das Vertrauen junger Menschen in ihre Zukunft und unser Land zu stärken – für eine Ge­sell­schaft, in der soziale Mobilität nicht dem Zufall überlassen wird.

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Diesen Text haben wir am 27. März 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet.

The Bigger Picture

Georg Diez

Lang­fris­ti­ge Politik braucht nicht nur einen anderen Zeit­ho­ri­zont – sie braucht vor allem ein anderes Denken. Es geht darum, im Heute die Mög­lich­kei­ten für morgen zu erkennen und die richtigen politischen und ge­sell­schaft­li­chen Mittel dafür zu haben. Das betrifft jeden einzelnen Menschen in dieser Ge­sell­schaft, der in seinem oder ihrem Potenzial gesehen werden sollte. Das betrifft auch die Strukturen der Politik, die sehr viel mehr auf Wirkung hin orientiert sein und sich der Ge­sell­schaft öffnen muss.

Beides hängt zusammen. Und der Schlüs­sel­be­griff ist Vertrauen – Vertrauen in die Fähigkeiten aller Bürgerinnen und Bürger, denn nur so werden diese Fähigkeiten auch richtig gefördert; und Vertrauen in die gestaltende Zi­vil­ge­sell­schaft, dass sie wesentliche Aufgaben etwa der So­zi­al­po­li­tik besser erfüllen kann, wenn die richtigen Bedingungen dafür hergestellt sind. Vertrauen ist damit das Leitbild eines anderen Staats­ver­ständ­nis­ses, das sich dadurch un­ter­schei­det, dass nicht primär der Staat bestimmt, was Bedürfnisse und Er­for­der­nis­se sind, etwa im Rahmen von Aus­bil­dun­gen.

Das Ergebnis ist ein Staat, der sehr viel mehr „bottom up” organisiert ist, entlang der Realität, könnte man auch sagen – ein Staat, der weniger abstrakt ist und dadurch mensch­li­cher, nahbarer, in vielem auf eine andere Weise de­mo­kra­tisch. Denn Demokratie ist nicht allein ein System, das Macht anhand von Wahlen verteilt; Demokratie ist eine Le­bens­pra­xis, die bestimmte Normen und Werte hat. Vertrauen in die Menschen und ihre Fähigkeiten gehört ganz bestimmt dazu.