
Fahrplan Staatsreform: Was jetzt passieren muss
Neu: Unsere Sonderreihe zum Koalitionsvertrag
Ab heute blicken wir jede Woche auf einen Ausschnitt aus dem Koalitionsvertrag – und fragen: Was muss jetzt konkret passieren, damit Reformversprechen Realität werden? Stimmen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft geben Impulse für eine Staatsmodernisierung, die wirkt.
»Deutschland braucht eine echte Staatsreform. Grundlegende Strukturreformen sind eine Gelingensbedingung für den Erfolg unserer Regierung. Wir erarbeiten in 2025 eine ambitionierte Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung, durch die wir unter anderem die Bundesverwaltung ressortübergreifend modernisieren, einen Effizienzfonds einführen und unseren Staat insgesamt von den Bürgerinnen und Bürgern her denken.«
Aus dem Koalitionsvertrag, S.56.
Tiaji Sio und Philipp von der Wippel von Re:Form zur Modernisierungsagenda der neuen Bundesregierung

Der Koalitionsvertrag ist eine mögliche Gestalt kommenden politischen Handelns, nicht mehr und nicht weniger. Worauf es nun ankommt, das ist, wie aus den Versprechen und Verabredungen Wirklichkeit wird.
Ein wesentliches Versprechen des Koalitionsvertrags ist eine grundlegende Staatsmodernisierung: Hier hat die neue Bundesregierung eine ambitionierte Reformagenda für Staat und Verwaltung beschlossen. Endlich wird Staatsmodernisierung als entscheidend für die Lösung der großen Zukunftsaufgaben erkannt und mit einem eigenen Ministerium bedacht. Das ist sehr zu begrüßen. Doch der Koalitionsvertrag ist nur der Anfang. Jetzt zählt die Umsetzung – es zählt nicht nur das Was, es zählt vor allem das Wie.
Mit dieser Serie wollen wir einzelne Sätze, Gedanken, Argumente aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD aufgreifen – und ausdeuten. Wir wollen zeigen, was passieren muss, damit die ambitionierten Ziele der neuen Regierung sich in konkrete Praxis übersetzen lassen. Dazu haben wir eine Reihe von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft eingeladen. Sie werden mit ihrer Erfahrung und Expertise die Reformziele der neuen Regierung reflektieren. Daraus entsteht ein Fahrplan für eine Staatsmodernisierung, die wirkt. Ein Fahrplan, an dessen Umsetzung Re:Form gerne tatkräftig mitwirkt.
Die kommenden Monate entscheiden darüber, ob die angekündigten Veränderungen Realität werden. Dafür ist es notwendig, dass Staatsmodernisierung zur Chefsache wird: mit einem klaren Auftrag an alle Ressorts, einem modernen Zuschnitt der Zuständigkeiten und einer gemeinsamen Geschäftsordnung, die ressortübergreifende Zusammenarbeit verbindlich macht. Die Steuerung der Staatsmodernisierung sollte ein breites Fundament bekommen, in dem ein Kabinettsausschuss eingerichtet wird, insbesondere bestehend aus BMDS, BKAmt, BMI, BMF. Der Ausschuss tagt auf Minister- oder Staatssekretärsebene. Alle drei Monate wird die Staatsmodernisierung fester Agendapunkt in der Kabinettssitzung – sowohl der Minister für Digitalisierung und Staatsmodernisierung als auch die Fachminister:innen müssen über den Fortschritt der Staatsmodernisierung berichten.
Wir unterstützen, dass das neue Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung (BMDS) ein klares Mandat, Durchgriffsrechte, ein strategisch einsetzbares Budget und eine agile Struktur bekommt, damit die Initiativen nicht im kleinteiligen Tagesgeschäft versacken. Der Aufbau des neuen Ministeriums erfolgt schlank und schnell, damit von Anfang an losgelegt werden kann und erste Ergebnisse bis Ende des Jahres sichtbar sind. Im neuen Ministerium sollten alle Schlüsselaufgaben für eine gelingende Staatsmodernisierung gebündelt werden:
Digitalisierung, Bürokratieabbau, Arbeitsweise der Bundesregierung, Gesetzgebung, Personal, wirkungsorientierte Steuerung und Föderalismus - einige Bereiche in Co-Verantwortung mit BKAmt, BMI oder BMF.
Gleichzeitig gilt: Kein Ressort, kein Bundesland, keine Kommune kann diese Reform allein bewältigen. Wir unterstützen den Ansatz, dass die Staatsmodernisierung als Verantwortlichkeit der gesamten Bundesregierung gesehen wird. Die Verantwortung sollte deshalb nicht im neuen Ministerium zentralisiert werden. Sie sollte politisch spürbar in jedem Fachressort verankert sein, mit konkreten Modernisierungszielen, ressortinternen Strukturen und der klaren Erwartungshaltung, dass das Thema in jedem Ministerium Priorität hat, von Anfang an – am besten schon heute bei Ankunft der neuen Ministerinnen und Minister in ihren Ministerien.
Entscheidend für den Erfolg der Staatsreform wird auch ein gemeinsamer Finanzierungsmechanismus sein. Damit das BMDS handlungsfähig ist, bekommt es ein eigenes Modernisierungs- und Digitalisierungsbudget. Die Fachressorts bleiben finanziell in der Lage, selbst Reformvorhaben eigenverantwortlich umzusetzen, müssen diese aber vom BMDS freigeben lassen. Ohne verbindliche Vereinbarungen zur Ressourcenverteilung droht ein Dauerkonflikt, der Reformen ausbremst, bevor sie beginnen. Wir begrüßen das Vorhaben der Regierung, finanzielle Anreize für Modernisierung zu setzen: Ministerien, die ihre Reformziele konsequent umsetzen, erhalten zusätzliche Mittel aus dem BMDS, in diese Richtung geht der Gedanke eines Effizienzfonds im Koalitionsvertrag. Ein nächster Schritt wäre: Die durch Modernisierung eingesparten Kosten werden dem jeweiligen Ressort als zusätzliches ungebundenes Budget für den nächsten Haushalt zur Verfügung gestellt."
Auch die operative Umsetzungsstruktur braucht neue Wege. Wir unterstützen ausdrücklich die Zielsetzung im Koalitionsvertrag, Silodenken zu überwinden und das Ressortprinzip neu zu interpretieren. Statt isolierter Taskforces braucht es ressortübergreifende, fallbezogene Teams mit dem nötigen Fachwissen. Mitarbeitende sollten ihre Arbeitszeit zwischen dem BMDS und ihrem jeweiligen Fachministerium 50 zu 50 aufteilen können. Springerpools helfen, temporäre Engpässe abzufedern. Eine Staatsreform gelingt nicht im Parallelbetrieb, sondern nur in enger Verzahnung mit dem Fachgeschäft, und zwar über alle Ebenen hinweg.
Die Erfahrung zeigt dabei auch: Verwaltung braucht Begleitung. Verwaltung verdient Unterstützung, um zu beurteilen, welche Regeln, Prozesse oder Aufgaben wirklich reformiert werden müssen. Für Aufgabenkritik und Bürokratieabbau sind konkrete, fundierte Vorschläge von außen konstruktiv. Die breite Öffentlichkeit sollte von Anfang an den Fortschritt über ein Dashboard verfolgen können – dafür müssten Feedback-Möglichkeiten geschaffen werden, um Probleme, Verbesserungsvorschläge und Rückmeldungen einzubringen.
Wichtig dafür wäre ein neues Zusammenwirken des Staates mit den Bürger:innen, mit der Wirtschaft und der gesamten Zivilgesellschaft, um deren Praxiserfahrung, Wissen und Fähigkeiten einzubeziehen – als Partner für die Umsetzung sowie als kritischer Begleiter. Viele Persönlichkeiten aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft wollen mitgestalten, sie wollen das Projekt “Staatsreform” zum Erfolg machen, die neue Regierung sollte diese Bereitschaft nutzen.
Staatsreform ist ein historisches Versprechen an unsere Demokratie. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die dem ganzen Land einen neuen Schwung, einen neuen Anfang verschaffen kann. Wir haben eine große Chance, weil der Moment da ist, das Bewusstsein, die Bereitschaft. Fangen wir an.