Was wäre, wenn der Staat direkt in die digitale Grund­ver­sor­gung investieren würde?

Adriana Groh, Co-Gründerin und Ge­schäfts­füh­re­rin Sovereign Tech Fund

Ich komme nicht aus dem Tech­no­lo­gie­be­reich, sondern habe einen Hintergrund in Po­li­tik­wis­sen­schaft und war immer stark sozial engagiert. Das Internet existiert in seiner aktuellen Form aufgrund des Idealismus und der Bemühungen vieler Menschen, die diese In­fra­struk­tur aufgebaut und gepflegt haben. Heutzutage sehen wir jedoch, wie der Erfolg des Internets seine eigenen Grundlagen bedroht. Wir müssen deshalb neue ge­sell­schaft­li­che und politische Modelle aufbauen, die si­cher­stel­len, dass das Internet weiter so genutzt werden kann, wie wir uns das wünschen. 

Die Idee des Sovereign Tech Fund entspringt genau diesem Gedanken: Wir verwenden öffentliche Mittel im öf­fent­li­chen Interesse, ins­be­son­de­re im Bereich der digitalen Tech­no­lo­gien. Wir suchen weltweit die Ba­sis­kom­po­nen­ten, die überall eingebaut sind und von denen wir abhängen – und darin investieren wir. Der Unterschied zur un­ter­neh­me­ri­schen Vor­ge­hens­wei­se ist dabei: Wir haben nicht Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen im Blick, sondern einen eher ho­ri­zon­ta­len Ansatz.

Ganz einfach: De­mo­kra­ti­sche, moderne Staaten brauchen ein Verständnis dafür, dass es notwendig ist, tech­no­lo­gi­sche In­fra­struk­tur zu entwickeln und vorzuhalten. Wir haben klare Werte, wenn es um die Grund­ver­sor­gung der Ge­sell­schaft geht, darunter Sicherheit, Zu­gäng­lich­keit, Transparenz und Fairness. All das muss in In­fra­struk­tur umgesetzt werden. Für physische In­fra­struk­tu­ren wie Wasser, Straßen und Schulen ist dies den meisten Menschen of­fen­sicht­lich, aber dasselbe gilt in gleicher Weise für die digitale In­fra­struk­tur.

Hier stehen vor allem Software-Produkte und Umsetzungen im Fokus – aber das allein reicht nicht aus. Wir müssen auch die digitalen Grundlagen aufbauen und pflegen, da ansonsten viele wichtige Vorhaben nicht rea­li­sier­bar sind. Die Di­gi­ta­li­sie­rung von Verwaltung und Staat etwa ist dringend notwendig – wenn jedoch nur wenige Akteure die Kontrolle über sämtliche Software-Grundlagen haben oder im schlimmsten Fall diese überhaupt nicht pflegen, entstehen erhebliche Ein­schrän­kun­gen für de­mo­kra­ti­sche Hand­lungs­spiel­räu­me.

Ein Beispiel für die ge­gen­wär­ti­ge Situation: Log4J ist eine Software-Komponente, die extrem nützlich ist, wenn man Sei­ten­auf­ru­fe und Anmeldungen pro­to­kol­lie­ren will. Aber es gibt nur eine Handvoll Leute, die sich um die Pflege dieser Komponente kümmern. Es ist, als ob sich ein paar Leute ausdenken, dass es gut wäre, eine neue Brücke zu bauen – und auf einmal nutzen immer mehr Leute diese Brücke, weil sie super gelegen ist. Wenn sie dann aber einbricht, gibt es Schäden, die in die Milliarden gehen.  

In solche Tech­no­lo­gien investieren wir. Wie das dann un­ter­schied­lich nachgenutzt wird, ist für uns erstmal nicht aus­schlag­ge­bend. Wir machen aktuell noch keine Skalierung oder Transfer, nur In­ves­ti­tio­nen in die Grundlagen. Uns geht es um das Verständnis der digitalen Tech­no­lo­gien und die In­stand­hal­tung digitaler In­fra­struk­tu­ren, um danach eine Blaupause zu haben, die andere nutzen können – ein In­stru­men­ten­kof­fer, der dafür sorgt, dass die digitale Grund­ver­sor­gung si­cher­ge­stellt ist.

Unser Ansatz ist global aus­ge­rich­tet, da die Vorstellung, dass etwas nur auf nationaler Ebene funk­tio­niert, im In­ter­net­zeit­al­ter nicht mehr zeitgemäß ist. Es kann langfristig aber nicht allein eine deutsche Initiative sein, die Frage ist: Wie kann das in Europa funk­tio­nie­ren, als Netzwerk, unter einem gemeinsamen Dach, mit anderen Ländern gemeinsam? Wir spüren hier sehr viel Interesse, selbst in Washington sagen viele, dass man das wirklich braucht. Wir sind als Deutsche da tatsächlich mal Vorreiter.

In gewisser Hinsicht ist es paradox: Der Sovereign Tech Fund ist der Versuch, einen Muskel zu stärken, der bislang noch nicht ausreichend entwickelt wurde.

 

The Bigger Picture

Was bedeutet es, wenn der Staat un­ter­neh­me­risch agiert?

Von Georg Diez.

Eine Staatsform kommt im 21. Jahrhundert eher aus der Praxis als aus der Theorie: Im Machen werden neue Methoden staatlichen Selbst­ver­ständ­nis­ses erprobt. Die Trans­for­ma­ti­ons-Ökonomin Mariana Mazzucato entwirft in ihren Büchern „Der un­ter­neh­me­ri­sche Staat“ und „Mission Economy“ das Bild eines Staates, der sich seiner Rolle als aktiver Treiber von Ver­än­de­run­gen bewusst ist. Welche Rolle etwa hat öffentliche Fi­nan­zie­rung bei tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lungs­sprün­gen? Es geht hierbei nicht allein um digitalen Fortschritt. Mazzucato verbindet staatliche Investition mit de­mo­kra­ti­scher Innovation. Der Staat als zentraler Akteur ge­sell­schaft­li­cher Prozesse wird nicht im Gegensatz zur Pri­vat­wirt­schaft po­si­tio­niert – das erscheint bei ihr wie altes Denken, von links wie von rechts. Das Neue an ihrer Position, die eng an der Praxis des Sovereign Tech Funds ist, besteht darin, dass sie die notwendige Verbindung von beidem beschreibt, Staat und Zi­vil­ge­sell­schaft – und dabei doch insistiert, dass eine bestimmte in­fra­struk­tu­rel­le Grund­ver­sor­gung durch den Staat gesichert sein muss und nicht in privater Kontrolle sein kann. Es geht hier um mehr als Regulation; es geht um einen un­ter­neh­me­ri­schen, aber auch selbst­be­wuss­ten Staat, der seine Rolle im 21. Jahrhundert konstruktiv und de­mo­kra­tisch neu definiert.