
Staatliche Doppik jetzt! Für einen funktionierenden und nachhaltigen Staat.
Ein Aufruf an die kommende Bundesregierung
Der staatliche Haushalt ist ein Kernbereich demokratischen Regierens. Hier entscheidet sich, was ein Staat leisten kann oder leisten will. Um einen leistungsfähigen Staat zu garantieren, müssen wir deshalb das Haushaltswesen der öffentlichen Hand den Möglichkeiten und Erfordernissen gegenwärtiger Politik anpassen.
Das ist derzeit nicht der Fall. Im Gegenteil: Eine wesentliche Ursache der aktuellen Haushaltskrise ist das rein zahlungsbezogene Haushalts- und Rechnungswesen des Bundes, das die Sicht auf das vorhandene Vermögen und den Verbrauch von Ressourcen ausblendet und eine ökonomisch sinnvolle Haushaltssteuerung verhindert, die sich daran orientiert, was bewirkt werden soll. Anders ausgedrückt: Es geht nicht nur darum, wie viel Geld ausgegeben werden soll, sondern es geht genauso darum, wofür und mit welcher Wirkung – und die Planungslogik muss das auch widerspiegeln.
In diesem Spannungsfeld findet Regieren statt – aber in der gegenwärtigen Haushaltsführung des Bundes findet das keinen Niederschlag. Eine zukunftsfähige Haushaltswirtschaft braucht aber neben der reinen fiskalischen Betrachtung insbesondere auch Ressourcenorientierung.
Wir schlagen deshalb eine grundsätzliche Änderung der haushaltspolitischen Logik des Bundes vor: Die Einführung des doppischen Haushalts- und Rechnungswesens macht eine transparente und effiziente, ressourcen-, ergebnis- und wirkungsorientierte Steuerung der Budgets des Bundes möglich.
In fast allen deutschen Kommunen sowie in den Ländern Hamburg, Hessen und bald auch in Bremen wird die Doppik bereits praktiziert. Zur nachhaltigen Steuerung des staatlichen Gemeinwesens müssen nun auch Bundesregierung und Bundestag nicht nur die Einnahmen- und Ausgaben betrachten, sondern auch Abschreibungen und zukünftige Zahlungsverpflichtungen im Blick haben.
Für uns ist klar: Die Lösung der Haushaltskrise liegt nicht darin, weitere Problembereiche auszulagern, sondern finanzielle Generationengerechtigkeit zu beachten und damit im Sinne finanzpolitischer Nachhaltigkeit zu entscheiden.
Einfach gesagt: Wir müssen die Ressourcen statt der Zahlungsströme ins Zentrum stellen und das eingesetzte Steuergeld muss wirken. Diese Wirkung muss nachvollziehbar sein, sie muss überprüfbar und handlungsorientierend sein. Ein funktionierender Staat muss deshalb über ein nachhaltiges Haushalts- und Rechnungswesen verfügen, mit dem die staatliche Leistungserbringung transparent dargestellt wird, um danach steuern zu können. Das ist die Grundvoraussetzung, damit die staatliche Verwaltung gute Leistungen erbringen kann und die Menschen dem Staat vertrauen.
Der allenthalben beklagte Investitions- und Sanierungsstau der öffentlichen Infrastruktur ist auch das Ergebnis der bisherigen Haushaltssteuerung des Bundes, die nur die aktuellen Zahlungsströme berücksichtigt und keine Folgekosten berücksichtigt. Sowohl zukünftige Nutzen als auch Kosten für zukünftige Generationen werden damit vom Bund bisher nicht betrachtet. Der Sanierungsstau entsteht auch dadurch, dass in der kameralen Betrachtung der Zahlungsströme übersehen wird, dass jede Investition auch erhalten werden muss. Die staatliche Doppik dagegen beruht auf einer Periodenrechnung, in der Anschaffungen von Vermögenswerten über ihre Lebensdauer abgeschrieben werden und damit den laufenden Werteverzehr verdeutlichen, der für den Vermögenserhalt eingesetzt werden müsste.
Die Standards der staatlichen Doppik orientieren sich an der doppelten Buchführung nach dem Handelsgesetzbuch, wie sie von privaten Unternehmen auch verwendet wird. Nachdem nahezu alle europäischen Länder ihr Haushalts- und Rechnungswesen auf die Doppik umgestellt haben, muss nun endlich auch in Deutschland eine flächendeckende Harmonisierung der Haushaltswirtschaft auf allen öffentlichen Ebenen nach den Standards der staatlichen Doppik erfolgen.
Wir appellieren an die Verantwortlichen im Bund, in der nächsten Legislaturperiode das Haushalts- und Rechnungswesen des Bundes auf die staatliche Doppik umzustellen und gemeinsam mit den Ländern für eine flächendeckende Harmonisierung des öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens nach doppischen Standards zu sorgen.
Mit diesem parteiübergreifenden Aufruf von Praktiker:innen auf unterschiedlichen Ebenen appellieren wir an die Parteien, das Thema im Rahmen der Diskussionen vor und nach der Bundestagswahl zu adressieren und gemeinsam umzusetzen. Wir alle stehen auch gerne für vertiefende Diskussionen zur Verfügung, denn uns eint der Wunsch nach tragfähigen öffentlichen Strukturen als Basis unserer Grundordnung und Demokratie. Wir freuen uns auch über Mitstreitende aus allen demokratischen Lagern.
Erstunterzeichnende
- Dr. Alfred Reichwein, Gründer / CEO
- Dr. André Jethon, Beigeordneter und Kämmerer der Stadt Lünen
- Dr. Andreas Dressel, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg
- Prof. Dr. Andreas Lasar, Hochschule Osnabrück
- Arne Schneider, Haushaltsdirektor der Freien und Hansestadt Hamburg
- Arno Gottschalk, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, Landtag der Freien Hansestadt Bremen
- Dr. Bastian Bergerhoff, Stadtkämmerer, Frankfurt am Main
- Prof. Dr. Berit Adam, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
- Bernd Vöhringer, Oberbürgermeister der Stadt Sindelfingen
- Prof. Dr. Dr. h.c. André W. Heinemann, Professor für bundesstaatliche und regionale Finanzbeziehungen an der Universität Bremen
- Birgit Neyer, Erste Landesrätin und Kämmerin, Landschaftsverband Westfalen-Lippe
- Christian Zierau, Stadtrat und Kämmerer der Landeshauptstadt Kiel
- Cordula Drautz, Dezernentin für Finanzen, Gebäude und Verwaltungsentwicklung der Region Hannover
- Deborah Düring, Mitglied des Bundestages
- Dennis Paustian-Döscher, Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft
- Prof. Dr. Dennis Hilgers, Johannes Kepler Universität Linz
- Dorothee Schneider, Kämmerin, Landeshauptstadt Düsseldorf
- Fabian Zachel, Public Affairs Manager, Düsseldorf
- Frank Gensler, Stadtkämmerer und Erster Beigeordneter der Stadt Neuss
- Gabriele C. Klug, Rechtsanwältin, Stadtkämmerin a.D.
- Hans Hinrich Coorssen, Senatsdirektor a.D.
- Helge C. Brixner, Geschäftsführender Gesellschafter, arf GmbH
- Henning Brüggemann, Bürgermeister, Stadt Flensburg
- Dr. Horst Baier, CIO des Landes Niedersachsen
- Ingo Meyer, Oberbürgermeister, Hildesheim
- Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke, Aufsichtsratsvorsitzende der rbb media GmbH
- Prof. Dr. Isabelle Jänchen, Professorin für Öffentliche Finanzen und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Meißen
- Jan Fries, Staatsrat aus Bremen
- Jan Quast, Stv. Vorsitzender der SGK-Hamburg
- Prof. Dr. Jens Heiling, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg
- Johannes Hauenschild, Volt, Hessen
- Dr. Johannes Slawig, Stadtdirektor und Stadtkämmerer a.D.
- Jürgen Frantzen, Bürgermeister der Landgemeinde Titz
- Prof. Dr. Marc Hansmann, Vorstand für Finanzen und Infrastruktur der enercity AG
- Martina Trauth, Beigeordnete für Jugend, Soziales und Gesundheit der Landeshauptstadt Schwerin
- Matthias Wiener, Hochschuldozent für Öffentliche Finanzwirtschaft und Kommunalverfassungsrecht an der Hochschule Harz
- Miriam Dahlke, Mitglied des Landtages, Hessen
- Omid Nouripour, Mitglied des Bundestages
- Prof. Dr. Peter Christoph Lorson, Lehrstuhl für Unternehmensrechnung und Controlling an der Uni Rostock
- Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim a.D.
- Prof. Dr. Peter Lorson, Universität Rostock
- Ramona Schumann, Bürgermeisterin der Stadt Pattensen
- Rainer Heinz, Erster Bürgermeister a.D.
- Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär a.D., Rechtsanwalt
- Ralf Paul Bittner, Bürgermeister der Stadt Arnsberg
- Rico Badenschier, Oberbürgermeister, Schwerin
- Sebastian Lasch, Bürgermeister für Finanzen und Ordnung, Stadtverwaltung Zwickau
- Sebastian Muschter, CEO adelphi
- Sven Ambrosy, Landrat des Landkreises Friesland und Vizepräsident des Deutschen Landkreistages
- Thorsten Brehm, Stadtkämmerer und Referent für Finanzen, Personal und IT der Stadt Nürnberg
- Tobias Hans, Mitglied des Landtages und Ministerpräsident a.D., Saarland
- Prof. Tom Krebs, Ph.D., Professor für Makroökonomik und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim
- Thomas Losse-Müller, Chef der Staatskanzlei a.D., Direktor Stiftung Klimaneutralität
- Dr. Ulrich Keilmann, Direktor beim Hessischen Rechnungshof
- Volker Halsch, Staatssekretär a.D., Senior Advisor PwC
Weitere Unterzeichnende
- Nico Bremer, Abteilungsleiter, DRV nord, Lübeck
- Johannes Diether Schönfelder, Senatsdirektor Administration und Recht, BVM, Hamburg
- Andreas Hlasseck, Klimamanager, Gelnhausen
- Hans-Josef Vogel, Regierungspräsident a.D., Arnsberg
- Paul Haße, Abteilungsdirektor Bezirksregierung Düsseldorf, Düsseldorf
- Nicolas Peters, Berlin
- Anita Kazungu, Verwaltungsleitung, Frankfurt am Main
- Emanuel Weiss, Senatsrat, Berlin
- Nele Petersen, Referentin, Hamburg
- Peter Vennemeyer, Bürgermeister a. D., Greven
- Katharina Schlüter, Freie Beraterin, Berlin
- Torsten Domroes, Projektleiter EPSAS (Doppikanwender und -promotor), Hamburg
- Dennys Bornhöft, Gesundheitsamtsleiter, Rendsburg
- Jenny Kozak, Führungskraft FLEX:Unit, Kiel
- Henning Witzel, Netzwerk Junge Bürgermeister*innen, Berlin
- Marius Niemeier, Student, Friedrichshafen
- Isabel Glaser, Stabsstelle OB / Zielsystem u. Beteiligung, Stadt Goeppingen
- Julia Lange-Windhorn, Dr., Berlin
- Paco Wieland, Senior Consultant Nachhaltigkeit, Frankfurt am Main
- Tom Wieland, Geschäftsführer a.D. BVZ GmbH, Frankfurt am Main
- Martin Hagen, Staatsrat fur Haushalt. Personal und Digitalisieru, Bremen
- Michael Schulte, ehem. Amtsleiter, Bergisch Gladbach
- Holger Duveneck, Haushaltsdirektor Freie Hansestadt Bremen, Bremen
- Alexander Bultmann, Referent, Dezernat III Finanzen, Personal, Ordnung, Landeshauptstadt Kiel
- Dr. Stefan Schneider, Unternehmer (GREENA) und Wissenschaftler (Difu), Berlin, Brandenburg
- Alexander Heichlinger, Chair European CSPF, Barcelona
- Eberhard Mühlich, Soziologe, Darmstadt
- Sascha Kolhey, Stadtratsmitglied, Mainz
- Jan Hendriok, Referatsleiter, Finanzbehörde, Hamburg
- Inga Karnapp, Referentin Finanzen, Umwelt, Klimaanpassung, Hamburg
- Michael Beier Beier, CEO, Berlin
- Ramin Rachel, Referent, Berlin
- John Siegel, Prof. Dr., Berlin, Hochschule für Wirtschaft und Recht
- Elke Hube, Gartenbaudirektorin a.D., Berlin
- Marcus Neureiter, Public Sector Beratung, Bremen
- René Schernikau, Verbandsgemeindebürgermeister Arneburg-Goldbeck, Goldbeck
- Olaf Meining, Bürgermeister, Hansestadt Salzwedel
- Kay-Uwe Böttcher, Verbandsgemeindebürgermeister, Nemsdorf-Göhrendorf
- Andreas Konopka, Öffentliche Finanzkontrolle, Bielefeld
- Katharina Westbomke, Abteilungsleitung KFM, Universität Bielefeld
- Hans-Günther Döbereiner, Hochschullehrer, Hamburg
- Dörthe Tiemann-Schüürmann, kommunale Rechnungsprüferin und freie Beraterin, Lütetsburg
- David Heider, Dr., Referent Rechnungsprüfung, München
- Jörg Naumann, Projektmanager, Dresden
- Ekkehard Grunwald, Erster Beigeordneter und Stadtkämmerer, Stadt Recklinghausen
- WP/StB Thomas MÜLLER-MARQUES BERGER, Ehem. Vorsitzender IPSASB CAG, Inhaber MMB Consult, Korntal-Münchingen
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Re:Form wird gefördert von der Stiftung Mercator. Die Stiftung Mercator ist eine gemeinnützige, private deutsche Stiftung und tritt ein für ein geeintes, friedliches Europa. Das will die Stiftung Mercator erreichen, indem sie positive Beispiele für gesellschaftlichen Fortschritt möglich macht, die Fantasie aller anregt, die in Politik und Gesellschaft besondere Verantwortung tragen, und allein oder gemeinsam mit Partner*innen Anstöße für die Gestaltung der Zukunft gibt. Dabei soll ihr Handeln von Qualität, Professionalität und Transparenz bestimmt sein und sich der öffentlichen Debatte stellen.
Was bedeutet es, wenn die Verwaltung wie ein Team arbeitet?
Eine Herausforderung staatlichen Handelns ist die Frage, ob der Staat liefert. Oder warum der Staat nicht liefert. Man kann das als „responsiveness“ beschreiben, also das Gefühl, dass da Menschen arbeiten, die verstehen, was die Gesellschaft will, was wir brauchen. Und wenn es hakt, wenn man merkt, dass da etwas nicht so funktioniert, wie es sollte, erkennt man oft, dass es an den Abläufen innerhalb der Verwaltung liegt – wie sie organisiert sind und wie falsche Prioritäten und Partikularismen die Abläufe behindern. Modul F ist ein Beispiel dafür, wie es anders gehen könnte; und verweist doch gleichzeitig auf die Dysfunktionalitäten im System: Wie können alle im Staat arbeitenden Menschen lernen, sich als ein Team Staat zu begreifen? Für diesen kulturellen Wandel müssen sich nicht nur Mitarbeitende aus Bund, Ländern und Kommunen als Kollegen begreifen, es müssen auch die Gräben zwischen Referaten und Abteilungen überwunden werden. Zuständigkeiten haben ihre Funktion, aber wenn eine risikoaverse Kultur des “Das ist nicht meine Zuständigkeit” übernimmt, verliert staatliches Handeln leicht an Dynamik. Spoiler Alert: Auch der Föderalismus hilft hier nicht wirklich weiter.