Was wäre, wenn wir bessere Gesetze schreiben würden?

Dr. Malgorzata Peuker-Minecka, Referentin im Bun­des­kanz­ler­amt

 

Die zukünftigen Ko­ali­ti­ons­part­ner:innen haben dieser Tage ihre ersten Ideen für Deutschland vorgelegt. Am­bi­tio­nier­te Vorschläge für eine Reform der Ge­setz­ge­bung kommen nicht zu kurz. Das hat einen Grund: Gesetze sind immerhin eines der Haupt­werk­zeu­ge der Bun­des­re­gie­rung. Durch Gesetze gestaltet und steuert sie. Gesetze sind Stell­schrau­ben, mit denen die Bun­des­re­gie­rung unter anderem auf Wett­be­werbs­fä­hig­keit, Bü­ro­kra­tie­ab­bau, Mo­der­ni­sie­rung, Wehr­haf­tig­keit und Nach­hal­tig­keit einwirken kann. 

Das Ziel der Reform des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens ist nicht neu. Bereits in den letzten beiden Le­gis­la­tur­pe­ri­oden gab es Bemühungen zur Ent­flech­tung des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens. In der 19. Le­gis­la­tur­pe­ri­ode lag der Fokus auf Transparenz und Beteiligung, während der Ko­ali­ti­ons­ver­trag der 20. Le­gis­la­tur­pe­ri­ode die Ge­setz­ge­bungs­qua­li­tät durch neue Formate verbessern wollte. Daraus folgte die Einrichtung eines Zentrums für Legistik und vereinzelt die Begleitung von Ge­setz­ge­bungs­pro­zes­sen durch den Di­gi­tal­ch­eck. Es entstanden weitere Checks zur Optimierung von Gesetzen, der Er­fül­lungs­auf­wand wurde ernsthaft angegangen.

Die Koalitionär:innen fordern jetzt „eine gute Ge­setz­ge­bung“. Konkret heißt das, dass die Gesetze gründlich, integrativ und transparent, ver­ständ­lich und di­gi­tal­taug­lich werden, Pra­xi­schecks Betroffene sowie Voll­zugs­expert:innen aus Bund, Ländern und Kommunen beteiligen, Er­folgs­in­di­ka­to­ren späteren Ge­set­zes­voll­zug messbar machen und Vi­sua­li­sie­rung von Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren, Pro­zess­ab­läu­fen sowie Wir­kungs­mo­del­len etabliert werden. Last but not least: Ein Zentrum für Legistik inklusive Schulungen soll ein­ge­rich­tet werden.

Die Redundanz ist of­fen­sicht­lich. Der Reformgeist bleibt, der Mut für größere Würfe lässt auf sich warten. Dabei braucht es für eine Reform der Ge­setz­ge­bung nicht viel. Jedenfalls keine rechtlichen Anpassungen, die ge­ge­be­nen­falls nicht mehr­heits­fä­hig wären. Es reicht, die Verfahren an zeitgemäße Methoden anzupassen, Kompetenzen zu bündeln und die Ge­setz­ge­bung nicht nur fachlich, sondern auch strategisch aus­zu­rich­ten. Und schließlich dafür einzustehen.

Hier muss am Kon­kre­ti­sie­rungs­ni­veau gefeilt werden. 

Warum? Erstens, weil eine spürbare Ver­bes­se­rung der Ge­set­zes­qua­li­tät nur eintritt, wenn es der Politik gelingt, ihre Ideen in die Bun­des­ver­wal­tung selbst zu übertragen. Und zweitens, damit die aus­füh­ren­den Or­ga­ni­sa­tio­nen aufgerufen werden, ihre Ressourcen und Expertise zu bündeln. Die Verwaltung denkt in Res­sort­lo­gik. Im Ergebnis kommen Ein­zel­lö­sun­gen heraus, die nicht zueinander finden. Jedes Ressort erarbeitet eigene Lösungen. Jedes Ressort erfindet das Rad neu. 

Wie? Wir brauchen konkrete Um­set­zungs­vor­ga­ben direkt im Ko­ali­ti­ons­ver­trag. Die Bun­des­ver­wal­tung braucht eine Roadmap, um in die Umsetzung zu kommen. 

Kon­so­li­die­rung von Kompetenzen: Der Aufruf, das Zentrum für Legistik auszubauen, reicht nicht. Die Koalitionär:innen sollten die Kon­so­li­die­rung der bereits exis­tie­ren­den und zahlreichen Services und Checks fordern. Diese sollten bei­spiels­wei­se zu einer res­sort­über­grei­fen­den, in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Einheit von Expert:innen aus unter anderem Verwaltung, Politik, Design, Produkt-Management gebündelt werden. Die Legist:innen werden bei den wichtigsten Ge­set­zes­vor­ha­ben begleitet und bekommen wei­ter­füh­ren­de Instrumente und ent­spre­chen­des Know-How aufbereitet. Den Legist:innen steht die geballte Expertise eines erfahrenen, in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Teams an einem Ort zur Verfügung. Das ist effizient, res­sour­cen­scho­nend und smart. Die Legist:innen können sich auf ihre originäre Aufgabe kon­zen­trie­ren: den Ge­set­zes­text. 

Interaktive Beteiligung und effiziente Abstimmung: Dieses Kompetenz-Team hat das nötige Fachwissen, um zu passenden Be­tei­li­gungs­for­ma­ten zu beraten, diese Prozesse zu begleiten und zu­sam­men­zu­füh­ren. Die Legist:innen bekommen Design-Thinking-Methoden an die Hand, bevor der Re­fe­ren­ten­ent­wurf geschrieben ist. Eine Begleitung während der Res­sort­ab­stim­mung sichert ein geordnetes und effizientes Verfahren.

Vi­sua­li­sie­rung: Die von der AG 9 vor­ge­schla­ge­ne und vom Digital-Check unter der Fe­der­füh­rung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums des Innern und für Heimat (BMI) ohnehin inzwischen mehrfach erprobte Vi­sua­li­sie­rung wird zwingender Teil des Ka­bi­netts­be­schlus­ses. Bundesrat und Bundestag bekommen einfachen Zugang zu den Er­kennt­nis­sen, die im Ge­setz­ge­bungs­pro­zess auf Mi­nis­te­ri­al­ebe­ne unter Beteiligung der Ressorts, der Stakeholder sowie der Länder und Kommunen gewonnenen wurden. Än­de­rungs­an­trä­ge im Parlament könnten diese be­rück­sich­ti­gen. Diese Brücke zwischen der mi­nis­te­ri­el­len Arbeit am Gesetz und dem par­la­men­ta­ri­schen Verfahren stellt sicher, dass Gesetze mehr­heits­fä­hig bleiben.

Pi­lot­pro­jek­te wagen: Nichts­des­to­trotz ist das Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren ein Balanceakt. Di­ver­gie­ren­de Interessen der Ressorts, Stakeholder und Kommunen machen Kompromisse nahezu unmöglich. Vielfältige Krisen erfordern schnelles Handeln und verhindern angemessene Fristen und Verfahren. Pro­jekt­be­zo­ge­nes Arbeiten an neuen Formaten kann Innovation bringen. Die Bun­des­re­gie­rung iden­ti­fi­ziert die fünf wichtigsten Ge­set­zes­vor­ha­ben der Le­gis­la­tur­pe­ri­ode und lässt sie durch das in­ter­dis­zi­pli­nä­re Team begleiten. Das verringert die Angst vor Scheitern und Disruption und leistet durch Best-Practice-Beispiele automatisch Über­zeu­gungs­ar­beit. Die Verwaltung wird ertüchtigt, erlernte Prozesse zukünftig ei­gen­stän­dig anzuwenden.

Zum Schluss bleibt fest­zu­hal­ten, für gute Ge­setz­ge­bung braucht es keine großen Reformen. Es reicht, die Ver­wal­tungs­struk­tu­ren durch neue Methoden zu ergänzen. Zur Wahrheit gehört aber dazu, dass jede Ambition stirbt, die die Ver­wal­tungs­struk­tu­ren nicht mitdenkt. Der schwere Tanker „Verwaltung“ ist nicht per se in­no­va­ti­ons­fä­hig. Die Überzeugung und Offenheit der Menschen im Ma­schi­nen­raum der Verwaltung ist die notwendige Bedingung. Daher wird eine Service-Einheit für Ge­setz­ge­bung nur dann eine Wirkung haben, wenn sie von oben ein­ge­for­dert wird und or­ga­ni­sa­to­risch dort verortet ist, wo die Re­gie­rungs­auf­ga­ben gesteuert werden.

Dieser Beitrag gibt aus­schließ­lich die persönliche Auffassung der Autorin wieder. Wir haben ihn am 3. April 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet.

Georg Diez

The Bigger Picture

Reform, wir wissen das, ist ein wi­der­sprüch­li­ches Wort. Wir haben es auch ganz am Anfang diskutiert, als wir Re:Form gegründet haben. Und diskutieren es immer wieder: Was bedeutet es, etwas zu reformieren? Wie viel von dem Alten kann und muss man übernehmen? Kann man auf der Grundlage des Alten das Neue bauen? Muss man das Neue bauen, um das Alte irgendwann abzulösen?

Das sind ver­schie­de­ne Ver­än­de­rungs­theo­rien, und wahr­schein­lich sind in ver­schie­de­nen Momenten alle auf un­ter­schied­li­che Weise wahr. Was aber auch beim Wort Reform mitschwingt, ist die Frage, ob sie verkündet oder umgesetzt wird? Reicht es oft, Reformen zu beschwören, gerade zu Beginn einer neuen Regierung? Das Problem an Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen ist ja, dass viel verhandelt und dann auch versprochen wird – aber wer achtet auf die Umsetzung?

Hier liegt ein grund­sätz­li­ches Design-Problem auch der ge­gen­wär­ti­gen Re­gie­rungs­bil­dung. Die Ergebnisse der Ar­beits­grup­pen von Union und SPD wurden für die Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen selbst vom Tisch gewischt. Zu viel Wunsch­kon­zert, aber auch zu klein gedacht, so das Urteil. Und das ist genau das Problem, das auch Dr. Malgorzata Peuker-Minecka anspricht: Die Schwie­rig­keit, in bestehenden Prozessen den großen Wurf zu entwickeln, die trans­for­ma­to­ri­sche, aber auch integrative Vision.

Denn Demokratie ohne Visionen funk­tio­niert nicht. Es wird viel davon gesprochen, auch hier, dass Demokratie liefern muss, weil sie sonst an Legitimität verliert. Und das stimmt ja auch. Aber Demokratie muss auch leuchten, sie muss als Zu­kunfts­ge­ne­ra­tor spürbar sein, sie muss die Energie in der Ge­sell­schaft aufnehmen und wie­der­ver­wer­ten. Sie muss das Beste aus allen machen und mehr.