Was wäre, wenn wir Gesetze mit Strategischer Vorausschau vorbereiten würden?

Theresa Schültken, Beraterin, Marcel Hadeed, Senior Berater, und Dr. Johannes Gabriel, Gründer und Geschäftsführer, alle Foresight Intelligence

Was ist Zukunft? Ein weißer Fleck auf der Landkarte, ein festgelegter Ablauf oder ein Raum voller Möglichkeiten? Unsere Vorstellung davon beeinflusst unser Handeln. Nur wenn wir Zukunft als gestaltbaren Möglichkeitsraum begreifen, erkennen wir unseren Handlungsspielraum. Während Unternehmen strategisch vorausdenken müssen, um zu bestehen, könnten Regierungen und Verwaltungen noch systematischer und offener die Zukunft analysieren und gestalten. In der Schnelllebigkeit unserer Zeit wirkt das föderale System oft unvorbereitet: Migration, Pandemien und Umweltkatastrophen zeigen, wie schwer uns vorausschauende, koordinierte Politik fällt.

Denn in einem System, das auf das Verfassen von Gesetzen und das Einhalten von Vorgaben ausgerichtet ist, funktioniert die Arbeit mit langfristiger Zukunft oft so: Eine Fachreferentin mit medizinischem Abschluss sitzt alleine in ihrem Büro und erarbeitet eine Vorlage für einen Gesetzentwurf, der die Gesundheitsvorsorge von Senior:innen behandeln soll – danach wird er in einem Abstimmungsprozess an beteiligte Ministerien, beispielsweise an das Familienministerium gereicht und schlussendlich ins Kabinett gebracht.

Aber was wäre, wenn dieselbe Fachreferentin die Vorlage durch einen Prozess der strategischen Vorausschau erarbeiten würde? In einem normativen Vorausschauprozess könnte sie Kolleg:innen aus der Kommune, die zum Beispiel für das Rettungswesen und Städtebau zuständig sind, Kolleg:innen aus dem Bund, die für Krebsvorsorge verantwortlich sind, sowie Entscheidungsträger:innen aus dem eigenen Ministerium zusammenbringen.

Gemeinsam könnte ein Zielbild für eine holistische Gesundheitsvorsorge und -versorgung mit abgestimmten Maßnahmen entwickelt und an den entsprechenden Stellen simultan umgesetzt werden. Der Unterschied liegt im Prozess: Durch Beteiligung verschiedenster Perspektiven, wird Zukunft in einem systematischen Prozess plötzlich gestaltbar. Relevante Stimmen werden aktiv in den Entwicklungsprozess eingebunden, nicht lediglich durch Abstimmungsrunden beteiligt – es ist ein co-kreativer, kein koordinierter Prozess.

Warum kann dies funktionieren? Ein Grund ist, dass Strategische Vorausschau Methode und Mindset zugleich ist, um besser mit Unsicherheit umzugehen. Ihre einfache Prämisse: Die Zukunft ist unwissbar. Sie wird oft als sich öffnender Trichter dargestellt – je weiter entfernt, desto größer der Möglichkeitsraum. Diesen Möglichkeitsraum erkundet und gestaltet man am besten gemeinsam mit Anderen – je diverser die Gruppe, desto erkenntnisreicher die Exploration. Eine gemeinsame Idee davon, was werden könnte, bildet wiederum das Fundament für strategische Ansätze, die robust gegenüber unvorhergesehenen Ereignissen sind. Wir wollen hier zwei grundsätzliche Ansätze der Strategischen Vorausschau betrachten:

  • Normative Vorausschau konzentriert sich auf das eigene Einflussgebiet, definiert ein Zielbild für die Zukunft und erarbeitet Wege, dorthin zu gelangen. Beispielsweise könnte sich ein Team mit dem Thema „Kommunaler Katastrophenschutz 2035” beschäftigen und in einem partizipativen Prozess Klarheit darüber erlangen, wie dieser in zehn Jahren im Bestfall aussehen sollte und welche nächsten Schritte getan werden können, um in diese Richtung zu arbeiten.
  • Explorative Vorausschau richtet den Blick eher nach außen, identifiziert Trends und Unsicherheiten und erstellt Szenarien, um plausible Entwicklungen vorstellbar zu machen sowie Gefahren und günstige Gelegenheiten aufzudecken. So könnte das Umfeld rund um den „Wirtschaftsstandort 2040” betrachtet werden. Die Teilnehmenden lernen, externe Entwicklungen zu erkennen, deren Wandel und Wechselwirkungen zu durchdenken und robuste Maßnahmen abzuleiten.

Die öffentliche Verwaltung fördert aktuell kaum Sektor- und Ebenen-übergreifende Zusammenarbeit an komplexen Themen. Engagierte Mitarbeitende stoßen oft an Entscheidungsgrenzen. Doch auch ohne Verfassungsreform könnten verschiedene Akteur:innen in Vorausschau-Prozessen gemeinsam arbeiten, Perspektiven integrieren und Ergebnisse co-kreieren – besonders bei Schnittstellenthemen zwischen kommunaler, Länder- und Bundesebene wie Zusammenhalt, Infrastruktur oder Integration.

Denn vieles kann bereits innerhalb der bestehenden Strukturen angestoßen und verändert werden. Um auf unser Beispiel zurückzukommen: Für die Fachreferentin im Gesundheitsministerium könnten Anreize geschaffen werden, sich mit dem Methodenkoffer der Strategischen Vorausschau auseinanderzusetzen und sich zu dem Thema fortzubilden – etwa durch Berücksichtigung in der Leistungsbewertung. Außerdem brauchen co-kreative Prozesse Zeit, insbesondere wenn die Ergebnisse eine so wichtige Funktion erfüllen sollen. Referent:innen sollte diese eingeräumt werden – „verlorene” Zeit holt man durch kürzere Abstimmungen wieder rein.

Natürlich bedarf es in den anderen Häusern auch der Bereitschaft, innovative Ansätze der Zusammenarbeit auszuprobieren und ihrerseits genug Zeit einzuräumen. Auch sollte das Denken in Silos und Hierarchie-Ebenen aufgegeben werden, doch aus der Praxis wissen wir, dass dies vielerorts bereits passiert.

Erste Initiativen zeigen, dass Strategische Vorausschau, auch außerhalb der Bundesregierung, im föderalen System möglich ist: Städte schließen sich zusammen, um herauszufinden, welchen gemeinsamen Chancen und Schwierigkeiten sie bis 2040 begegnen könnten; ein Landesministerium erdenkt, wie ein lebenswertes Bundesland in zehn Jahren aussehen könnte und eine Kommune setzt auf Zukunftswerkstätten, um Dorfgemeinschaften in die Erarbeitung und Umsetzung nachhaltiger Entwicklungskonzepte einzubeziehen.

Diese Beispiele zeigen, dass Vorausschau heute schon hilft, Zukunftsthemen koordiniert anzugehen. Ein nächster Schritt wäre eine effektive Verzahnung solcher Vorhaben über föderale Ebenen hinweg. Hierzu braucht es mutigen Gestaltungswillen. Der erste Schritt ist vielleicht nur eine Idee entfernt.

 

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Dieser Text ist am 13. März 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet worden. Melde Dich jetzt an

Georg Diez

The Bigger Picture

Demokratie lebt von Zukunft, sie muss eine Perspektive eröffnen, warum sie als System die besten Voraussetzungen schafft, dass Gemeinschaft und Gesellschaft gelingen. Zu oft aber bleibt die Demokratie gerade in diesem Bereich hinter Erwartungen oder Versprechen zurück. Der Staat kann Vertrauen zurückgewinnen, wenn er sich als zukunftsfähig erweist.

Ein Mittel, das zu erreichen, ist eine veränderte Staats- und Verwaltungslogik: Statt das Bestehende zu verwalten, sollte das Kommende gestaltet werden. In der Praxis bedeutet das, eine Ziel- und Wirkungsorientierung etwa in die Haushaltsmechanik einzubauen, wie es gerade auch in den Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU und SPD vereinbart wurde. 

Das ist ein Erfolg; aber die Frage ist, wie Ziele an Zukunft geknüpft werden können und an welche Zukunft oder besser Zukünfte – denn Zeit gibt es nicht im Singular, Zeit gibt es nur im Plural, als schier unendlicher Möglichkeitsraum. Wie kann man diesen Raum navigieren? Wie kann man aus dem Unbekannten, aus Unsicherheit, aus zu Erwartendem eine Politik gestalten, die die Demokratie als flexibel, offen, leistungsfähig?

Methoden wie die Strategische Vorausschau sind damit wichtig für die Legitimation eines Systems, das einerseits auf Überzeugung basiert, Werten und Normen (was immer mehr Menschen gerade leider nicht zu überzeugen scheint), und sich andererseits am Ergebnis messen lassen muss. In diesem Bereich scheinen Reformen vielversprechend, hier gibt es parteiübergreifenden Konsens. 

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