
Fahrplan Staatsreform: Kommunale Daseinsvorsorge ist Demokratievorsorge
Dr. Ulf Kämpfer, Oberbürgermeister (SPD) der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel und stellvertretender Präsident des Deutschen Städtetags.
»Mit einem Zukunftspakt von Bund, Ländern und Kommunen werden wir die finanzielle Handlungsmöglichkeit stärken und eine umfassende Aufgaben- und Kostenkritik vornehmen.«
Aus dem Koalitionsvertrag, S.59.

Die Koalitionsverhandlungen, an denen ich teilgenommen habe, haben gezeigt, wie wichtig das Thema der kommunalen Handlungsfähigkeit ist. Es zieht sich durch alle Kapitel des Koalitionsvertrages und ist so präsent wie noch nie. Das ist ein großer Erfolg. Entscheidend aber ist, dass es ein wirklicher Pakt wird – der Bund muss und kann das nicht alleine machen.
Bekenntnisse zu mehr Autonomie der Kommunen und weniger Bürokratie finden sich in allen Koalitionsverträgen der letzten Jahrzehnte – und trotzdem wurde das staatliche Arbeiten immer komplizierter und bürokratischer, die Kommunen immer weiter mit Aufgaben belastet, ohne sie im gleichen Zug angemessen finanziell auszustatten.
Die finanzielle Lage der Kommunen, seien es die Schulden bei der Bank oder die Infrastruktur-Schulden in Form kaputter Schulen und Straßen, hat sich immer weiter auseinander entwickelt. Kommunale Selbstverwaltung existiert bei hoch verschuldeten Kommunen nur noch auf dem Papier – die vom Grundgesetz in Verfassungsrang gehobenen „einheitlichen Lebensverhältnisse” können nicht mehr verlässlich gewährleistet werden.
Das gefühlte oder tatsächliche Abgehängtsein ganzer Städte und Regionen hat demokratiegefährdende Folgen, wie die Wahlerfolge der AfD bei der Bundestagswahl in ländlichen Regionen Ostdeutschlands oder in Städten wie Gelsenkirchen oder Kaiserslautern gezeigt haben.
Deshalb müssen wir zuallererst die verlässliche Finanzierung der Kommunen klären, die 2024 ein Finanzierungsdefizit von 25 Milliarden Euro schultern mussten, das höchste in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Dramatik der Situation haben noch nicht alle verstanden. Wir befinden uns in einer existenziellen Schieflage – und das in einem Moment, in dem die Kommunen fundamentale Investitions- und Innovationsdefizite angehen und aufholen müssen.
In einem ersten Schritt brauchen wir Verlässlichkeit. Das beginnt mit dem Thema der Konnexität – der Bund muss sicherstellen, dass neue Aufgaben für Länder oder Kommunen auch dauerhaft finanziert werden. Es gibt dieses Konnexitätsgebot mittlerweile in vielen Landesverfassungen zwischen Ländern und Kommunen, aber nicht zwischen Bund und Kommunen.
Ein besonders „süßes Gift” sind Anschub- und Übergangsfinanzierungen des Bundes: Ist eine neue Aufgabe oder Leistung erst einmal etabliert, ist es nach Auslaufen der Finanzierung oft schwer bis unmöglich, dem politischen Druck zur Weiterfinanzierung durch die Kommune standzuhalten.
Am Beispiel solcher kurzfristig hochgezogenen Förderprogramme zeigt sich, dass das Zusammenspiel der staatlichen Ebenen grundlegend neu sortiert werden muss – durch kurze Fristen, überbordende Kontrolle und komplizierte Abrechnung werden diese Programme zu einer unnötigen Belastung. Projekte werden dadurch in der Umsetzung teurer, sie dauern länger und verpuffen in ihrer eigentlich positiven Wirkung. Wir brauchen deshalb mehr Vertrauen in die Kommunen und klare Ziele – statt Förderprogramme, die jedes Detail regeln sollen.
Die Altschuldenregelung ist ein zweiter essentieller Schritt für mehr kommunale Handlungsfähigkeit und auch um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland zu sichern. Im Koalitionsvertrag sind Bundeshilfen von 250 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen – aber bei 25 Milliarden Euro kommunalem Finanzierungsdefizit allein im vergangenen Jahr und kommunalen Altschulden im dreistelligen Milliardenbereich ist das kaum ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ein wichtiges Handlungsfeld, das im Rahmen des geplanten Zukunftspaktes beispielsweise beackert werden muss, ist die Wärmewende, die durch die Kommunen geplant und umgesetzt werden soll und die, Stand heute, zu teuer, zu kompliziert und vor allem unterfinanziert ist.
Wir haben in Kiel zusammen mit den Bürger:innen einen Wärmeplan entwickelt, bei dem der Ausbau der Fernwärme eine wichtige Rolle spielt. Die Bürger:innen verlassen sich darauf, dass wir diesen Plan umsetzen – aber es fehlt bislang eine schlanke und vor allem auskömmliche, bedarfsgerechte Förderung. Kommt diese nicht, wird Vertrauen enttäuscht, wird Unsicherheit geschürt, werden die Klimaziele der Wärmewende verfehlt. Ich fürchte, dass nach der Heizungsdebatte hier das nächste Großdebakel droht.
Ein weiteres Beispiel ist die Ganztagsbetreuung an Grundschulen, die der Bund mit guten Gründen ab 2026 als Rechtsanspruch ausgestaltet hat. Es wird erwartet, dass die Kommunen das umsetzen, aber auch dieses Projekt ist strukturell unterfinanziert. Auch die Länder können oder wollen die notwendigen Investitionen nicht ausfinanzieren.
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie wichtig eine Neusortierung, namentlich die Entflechtung und Entschlackung der Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist.
Sowohl die rechtliche als auch die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen müssen dadurch gestärkt werden. Denn kommunale Daseinsvorsorge ist auch Demokratievorsorge.
Nirgendwo kommt der Staat den Bürger:innen im Alltag so nah wie auf der Ebene der Kommune. Wenn wir es nicht schaffen, staatliches Handeln so zu verändern, dass es spürbar das Leben der Menschen besser macht, wird sich die demokratische Vertrauenskrise, die wir derzeit erleben, weiter verstärken.
Fahrplan Staatsreform: Unsere Sonderreihe zum Koalitionsvertrag
Wir blicken auf einen Ausschnitt aus dem Koalitionsvertrag – und fragen: Was muss jetzt konkret passieren, damit Reformversprechen Realität werden? Stimmen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft geben Impulse für eine Staatsmodernisierung, die wirkt.
Diesen Beitrag haben wir am 5. Juni 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet. Melde Dich jetzt an und erhalte die neuesten Ausgaben direkt in Dein Postfach.