
Fahrplan Staatsreform: Verwaltungsleistungen über eine zentrale Plattform digitalisieren
Dr. Laura Dornheim, Chief Digital Officer und IT-Referentin bei der Landeshauptstadt München sowie Geschäftsführerin von digital@M – eine beratende Tochtergesellschaft der Landeshauptstadt München.
»Wir setzen auf konsequente Digitalisierung und „Digital-Only“: Verwaltungsleistungen sollen unkompliziert digital über eine zentrale Plattform („One-Stop-Shop“) ermöglicht werden, das heißt ohne Behördengang oder Schriftform.«
Aus dem Koalitionsvertrag, S.56.

An diesem Satz fehlt mir etwas: Letztlich müssen die Bürger:innen in dieser Logik doch noch selbst Verwaltungsdienstleistungen beantragen. Es fehlt also der proaktive Charakter, der ein wesentliches Element eines neuen Verwaltungsdenkens und -handelns wäre. Deshalb ist mir der Satz nicht ambitioniert genug.
Das Ziel sollte sein, dass der Staat von selbst etwa durch Push-Nachrichten mit den Bürger:innen kommuniziert, wie wir es von jeder App kennen. Das Paradebeispiel ist dabei die Geburt: Wir müssen es schaffen, dass ich nicht jeweils das Elterngeld, das Kindergeld und den Kita-Platz einzeln beantragen muss – sondern dass der Staat mitdenkt und mir die passenden Angebote macht.
Der Weg dorthin ist aber nicht einfach. Notwendig sind dazu grundlegende Veränderungen, zuallererst in der Art und Weise, wie wir den Föderalismus für das digitale Zeitalter aufstellen. Denn der Föderalismus ist der größte Hemmschuh, wenn es um Verwaltungsreform geht. Historisch entspringt er einer richtigen und wichtigen Intention – aber er beißt sich mit der digitalen Logik.
In einer analogen Zeit gab es noch einen Grund, wenn vom Bund vorgegeben wurde, dass jede Kommune das Einwohnermeldewesen in Eigenregie führt. Im digitalen Zeitalter aber ist Skalierbarkeit entscheidend, Skalierbarkeit ist das „Killer-Feature“, um es in der Sprache der Techies zu sagen. Das bedeutet, dass ein Problem, das von einer Kommune gelöst ist, eine Lösung bereithält, die durch einfaches „Copy und Paste“ von anderen Kommunen nachgenutzt werden könnte. Damit sinken die Kosten auf nahezu null.
Was wir aber stattdessen sehen, ist ein Wust von Einzellösungen, die meistens nicht miteinander kompatibel sind, weil etwa die Art und Weise, wie Einwohnermeldeamt 1 im Gegensatz zu Einwohnermeldeamt 2 Daten sammelt und verarbeitet, nicht zusammenpasst. Deshalb müssen wir an die Strukturen ran. Jede Verwaltungsleistung, die bundesweit vorgegeben ist, sollte vom Bund als digitale Lösung bereitgestellt werden. Dazu ist eine umfassende Registermodernisierung notwendig – die aber, und das ist Schritt zwei, eine sinnvolle Standardisierung voraussetzt.
Ob diese Standardisierung top down umgesetzt wird oder etwa durch den Normenkontrollrat oder andere Gremien, ist letztlich zweitrangig – dass es passiert, sollte aber eine Priorität des neu geschaffenen Ministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung sein. Entscheidend ist, dass es bundesweite Standards gibt. Sonst kommen wir bei der Digitalisierung nur in Trippelschritten weiter.
Der dritte Schritt, der darauf direkt aufbaut, ist ein bundesweiter Marktplatz der Kommunen für all das, was vor Ort geregelt werden muss. Dieser Marktplatz sollte so einfach wie ein App-Store funktionieren. Man sollte konkret nach Lösungen suchen können, die durch ein paar Klicks zugänglich sein sollten. Pro Anwendungsproblem sollten maximal eine handvoll Lösungen angeboten werden, die dafür alle getestet und für gut befunden sind.
Software-Entwicklung ist dabei meiner Meinung nach nicht die originäre Aufgabe des Staates. Wichtig ist, dass nicht jede einzelne Kommune eigentlich einheitlich anzuwendende Lösungen durch ein je eigenes Vergabeverfahren angehen muss. Das lässt sich beispielsweise mit Rahmenverträgen regeln, die für alle Kommunen die Vertragsbeziehung zu Anbietern der öffentlichen Hand wie der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) oder einer Dataport in Hamburg ausgestalten – aber auch mit privaten Playern.
Das alles sind Veränderungen im Backend – in einem vierten Schritt wäre die Frage zu klären, wie einfach oder kompliziert es für die Bürger:innen ist, Verwaltungsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die User Experience (UX) also. Hier finde ich das Konzept einer Deutschland-App, wie es die Grünen im Wahlkampf vorgeschlagen haben, sehr überzeugend.
Aktuell ist die Darstellung der Verwaltung in jeder Kommune anders – wir sollten alles daran setzen, die Kommunikation mit den Bürger:innen bundesweit so modern und ansprechend zu machen wie möglich. Europaweit gibt es bereits die sehr ambitionierte Entscheidung für ein digitales Wallet. In Deutschland ist es bis auf Ausnahmen momentan leider nicht vorgesehen, dass der Bund direkt digitale oder andere Verwaltungsleistungen anbietet. Das bremst uns aus.
Das alles sind keine utopischen Gedanken, das ist digitale Realität. Die größere Vision, denke ich, sollte allerdings sein, dass wir die allermeisten Anträge überhaupt entfallen lassen – und nicht immer mehr Anträge einfach digitalisieren.
Fahrplan Staatsreform: Unsere Sonderreihe zum Koalitionsvertrag
Wir blicken auf einen Ausschnitt aus dem Koalitionsvertrag – und fragen: Was muss jetzt konkret passieren, damit Reformversprechen Realität werden? Stimmen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft geben Impulse für eine Staatsmodernisierung, die wirkt.
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