Was wäre, wenn es bundesweit mehr Kooperation der Ver­wal­tun­gen gäbe?

Ich arbeite seit 13 Jahren in der Verwaltung und weiß, dass wir in der Verwaltung dazu neigen, dass alle Abläufe und Prozesse zu 100 Prozent perfekt sein sollen. Wir mögen uns nicht mit 80 Prozent begnügen. Dabei würde das meistens schon reichen. Die restlichen 20 Prozent braucht es oft nicht. Wir haben auch ein gewisses Misstrauen: Viele wollen etwa digitale Lösungen für ihre Probleme lieber selbst bauen, auch wenn es teurer ist und nicht so gut. Was fehlt, sind Angebote und das Vertrauen in Software as a Service.

Da kommt der Grund­ge­dan­ke von MODUL-F her: Wir bieten einen Baukasten von digitalen An­wen­dungs­ele­men­ten für die Verwaltung, die man so zu­sam­men­fügt, wie man sie eben braucht. Was in der Verwaltung oft fehlt, ist das Verständnis dafür, dass es schon woanders Lösungen gibt für die Probleme, die man selbst angehen will. Es fehlt der Mut, Lösungen von anderen zu übernehmen und einfach mal aus­zu­pro­bie­ren. Das blockiert uns. Mit MODUL-F haben wir eine An­wen­dungs­platt­form, die es und einfacher macht, bereits auf der Plattform erstellte Anwendungen nach­zu­nut­zen.

Modul F wurde geboren aus der Aufgabe, die An­wen­dungs­land­schaft Hamburgs besser zu machen. Wir hatten viele Use Cases ohne digitale Un­ter­stüt­zung – wenige Pro­zess­schrit­te, kleine An­wen­dungs­fel­der, meistens nicht so attraktive Fälle, die wir liebevoll unsere Stiefkinder der Di­gi­ta­li­sie­rung nennen. Wir haben dann überlegt, die uns den Ent­wick­lungs­an­satz Low Code zu­gu­te­kom­men zu lassen für die Hamburger Verwaltung und eine Ent­wick­lungs­platt­form umzusetzen, in der bestimmte An­wen­dungs­schrit­te bereits vor­ent­wi­ckelt sind.

Wir haben schnell gemerkt: Die An­wen­dungs­fäl­le sind eigentlich gleich, die Problem haben nicht nur wir in der Hamburger Verwaltung – es lohnt sich, wenn wir das un­ter­ein­an­der austauschen. Deshalb haben wir uns entschieden, einen Antrag auf Mittel beim BMI zu stellen, um das, was wir für Hamburg entwickelt haben, deutsch­land­weit zu machen. In 18 Monate haben wir es geschafft, vom Konzept zur technischen Umsetzung und ersten Version von MODUL-F zu kommen.

Nun wird MODUL-F nach und nach in Ländern und Kommunen, wie Schleswig-Holstein, in Bremen, aber auch bei Bun­des­ver­wal­tun­gen, wie dem Bun­des­ver­wal­tungs­amt oder­Bun­des­amt für Land­wirt­schaft und Ernährung eingeführt und eingesetzt. Aber wir merken auch: Wir leisten sehr viel Aufklärung, um die Pro­zess­ver­bes­se­rung vor­an­zu­trei­ben. Viele fragen: Brauchen wir das wirklich, wofür brauchen wir das? Unsere Antwort ist meistens: Das, was wir bieten, ist immer noch besser als das, was ihr heute macht. Denn damit leistet ihr einen Schritt Richtung nachhaltige und ganz­heit­li­che Di­gi­ta­li­sie­rung.

Das Learning dabei war, dass wir diese Lösung vertreiben und dabei markt­wirt­schaft­lich arbeiten, natürlich ohne dabei Gewinn zu machen, das dürfen wir gesetzlich gar nicht, denn wir sind selbst ja Verwaltung. Aber wir machen jetzt Pre-Sale, wir machen Marketing und Vertrieb, weil wir ja ein Produkt haben, dass wir bundesweit verkaufen müssen. Und nur wenn wir verkaufen und viele MODUL-F nutzen, kommen die Vorteile immer mehr zum Tragen. Aber: Wie funk­tio­niert Vertrieb, wenn man selbst Verwaltung ist?

Wir würden uns das Leben leichter machen, wenn wir diese Aufgabe an einen Dienst­leis­ter abgeben. Aber das wollen wir nicht, weil wir sagen, dass das eine Ver­wal­tungs­lö­sung ist. Also haben wir ein markt­wirt­schaft­li­ches Modell entwickelt, das nicht nach dem Kö­nigs­ber­ger Schlüssel funk­tio­niert. Es gibt ein Preismodell, einen Break-Even-Point. Wir hatten recht hohe Ent­wick­lungs­kos­ten, weil wir viel mit externer Un­ter­stüt­zung arbeiten. Mein Ziel ist es deshalb auch, eine Ent­wick­lungs­ge­mein­schaft aufzubauen. Wobei die Technik im Grunde nicht die Her­aus­for­de­rung ist – neu ist für viele diese Pro­dukt­den­ke: Nutzt es und nutzt es unter euch.

Wir haben mitt­ler­wei­le ein Team von knapp 60 Leuten, das ich leite. Wobei meine Rolle eher die Vermittlung ist, die Verbreitung, die Strategie. Ich glaube, was mich auszeichnet, ist, dass ich als In­for­ma­ti­ke­rin ein tiefes technisches Verständnis habe für das, was ich tue – dass ich aber auch sehr kom­mu­ni­ka­ti­ons­stark bin. Das ist nicht unbedingt eine Kombination, die man oft findet. Was mich persönlich motiviert: Wie ver­nach­läs­sigt die Ver­wal­tungs­di­gi­ta­li­sie­rung ist, wenn es hinter die Fassade blickt. Da ist unfassbar viel Potential, um ge­samt­heit­lich besser zu werden.

Links:

Digitale Stadt Hamburg - Wir machen Hamburg digital!

MODUL-F – Fach­ver­fah­ren einfach erstellt. Von Verwaltung für Verwaltung. - YouTube

Digitale Verwaltung - MODUL-F (digitale-verwaltung.de)

Zehra Öztürk ist stell­ver­tre­ten­de Re­fe­rats­lei­te­rin Steuerung Fach­ver­fah­ren und Neue Tech­no­lo­gien und Pro­gramm­lei­te­rin In­tel­li­gen­te Ver­fah­rens­steue­rung in der Se­nats­kanz­lei Hamburg

The Bigger Picture

Was bedeutet es, wenn die Verwaltung wie ein Team arbeitet?

Eine Her­aus­for­de­rung staatlichen Handelns ist die Frage, ob der Staat liefert. Oder warum der Staat nicht liefert. Man kann das als „re­spon­si­ve­ness“ beschreiben, also das Gefühl, dass da Menschen arbeiten, die verstehen, was die Ge­sell­schaft will, was wir brauchen. Und wenn es hakt, wenn man merkt, dass da etwas nicht so funk­tio­niert, wie es sollte, erkennt man oft, dass es an den Abläufen innerhalb der Verwaltung liegt – wie sie organisiert sind und wie falsche Prioritäten und Par­ti­ku­la­ris­men die Abläufe behindern. Modul F ist ein Beispiel dafür, wie es anders gehen könnte; und verweist doch gleich­zei­tig auf die Dys­funk­tio­na­li­tä­ten im System: Wie können alle im Staat arbeitenden Menschen lernen, sich als ein Team Staat zu begreifen? Für diesen kulturellen Wandel müssen sich nicht nur Mit­ar­bei­ten­de aus Bund, Ländern und Kommunen als Kollegen begreifen, es müssen auch die Gräben zwischen Referaten und Abteilungen überwunden werden. Zu­stän­dig­kei­ten haben ihre Funktion, aber wenn eine ri­si­ko­aver­se Kultur des “Das ist nicht meine Zu­stän­dig­keit” übernimmt, verliert staatliches Handeln leicht an Dynamik. Spoiler Alert: Auch der Fö­de­ra­lis­mus hilft hier nicht wirklich weiter.