Georg Diez ist Autor, Journalist und Fellow bei Pro­ject­Tog­e­ther. Seit über zwanzig Jahren liefert er scharfe Analysen unseres Zeit­ge­sche­hens und gestaltet Diskurse mit – wenn er sie nicht selbst anstößt. Basierend auf seiner Re:flexion möchten wir mit Euch ins Gespräch und ins gemeinsame Handeln kommen. Schreibt uns dazu gerne via: reform@pro­ject­tog­e­ther.org. 

Wir leben anders, als wir regieren. Das bedeutet, dass die tech­no­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten, aber auch die Ar­beits­wei­sen, die Denkweise, die Kar­rie­re­we­ge, die Mo­ti­va­tio­nen, die Ambitionen, die mentale In­fra­struk­tur also, wie sie sich in den vergangenen zehn oder zwanzig Jahren verändert hat, auf eine Verwaltung trifft, die au­gen­schein­lich in vielen Bereichen den Sprung in die Gegenwart verpasst hat.

Es gibt Ausnahmen, es gibt eine Avantgarde, es gibt Versuche, aus den oft selbst­ge­mach­ten Zwängen zu entkommen. Wer aber mit Menschen aus der Verwaltung spricht oder mit der Verwaltung in ihren ver­schie­de­nen Aus­prä­gun­gen zu tun hat, stellt rasch fest, dass zu häufig die Denk- und Han­dels­wei­se, die bio­gra­phi­schen Entwürfe und die Struktur der Zu­sam­men­ar­beit sich mehr am 19. als am 21. Jahrhundert ausrichtet.

Als die Zeiten noch ruhiger waren, als der Wohlstand wuchs, in den „30 goldenen Jahren“ bis etwa 1980, war das nicht so ein großes Problem. Aber spätestens mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 hätte es eine große Ver­wal­tungs­re­form gebraucht. Und seit der Jahr­tau­send­wen­de und der digitalen Revolution, die das Leben und Denken der Menschen so verändert wie zuletzt um 1500 herum, hätte es mehr gebraucht als nur kleine Korrekturen – eine staatlich initiierte Revolution der Verwaltung, wie sie etwa zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts stattfand: die Har­den­berg­schen Reformen in Preußen oder auch in Bayern und anderen deutschen Fürs­ten­tü­mern und Kö­nig­rei­chen.

Ist die nächste Revolution, die nächste Innovation der Demokratie also eine der Verwaltung? Eine Revolution der Demokratie von innen? Jenseits der Parteien und Parlamente eine Revolution der politischen Praxis, der Umsetzung, des Machens? Auch Politik ist Praxis, natürlich – aber die in Wahlen or­ga­ni­sier­te Politik scheint gelähmt, die Mehrheiten heben sich auf, das Land rattert so vor sich hin, weil die Ampel nicht weiß, ob sie auf Rot, auf Gelb oder auf Grün steht.

Verwaltung, hat die ame­ri­ka­ni­sche politische Philosophin Danielle Allen gesagt, war immer langweilig – auch im Sommer 1789. Anders gesagt, die Gefahr von Ver­wal­tungs­skle­ro­se ist die Chance von Ver­wal­tungs­in­no­va­ti­on – jenseits von politischen Lagern, jenseits von gestrigen Debatten über das Wesen von zu viel oder zu wenig Staat. Es muss in den kommenden Jahren darum gehen, was für ein Staat gemeint ist. Es muss darum gehen, den Staat offen und wach und ak­ti­ons­fä­hig zu machen, damit er den Bürger:innen das Vertrauen in die Demokratie wieder gibt, das im „Parteien-Hickhack“ zerrieben wird.

Heißt das also eine tech­no­kra­ti­sche Revolution? Ja und nein. Und die Gegenfrage: Wäre das so schlecht? Was daran genau? Und wie kann man davon lernen? Wie kann man also das, was daran pro­ble­ma­tisch wäre, korrigieren und den Schwung, die Expertise, das Wollen aus der Praxis mitnehmen? Und wer wären überhaupt die Tech­no­kra­ten, um die es geht? Wer sind die Menschen, die Di­gi­ta­li­sie­rung vor­an­trei­ben, die Vision einer kli­ma­neu­tra­len Wirtschaft mit Optimismus und dem Bild eines besseren Lebens verbinden? Wer sind also die Ingenieur:innen des Morgens, die Startup-Gründer:innen mit de­mo­kra­ti­scher Sehnsucht und Lei­den­schaft?

Es geht nicht darum, die Verwaltung von außen zu verändern. Es geht nicht darum, der Verwaltung den Spiegel einer Ge­sell­schaft vorzuhalten, die es besser macht. So ist es ja nicht. In vielem ist die Verwaltung schon auch das Bild eines Landes, das es sich in seinem Wohlstand und scheinbaren Erfolg gut ein­ge­rich­tet hat. Wi­der­stän­dig gegen Wandel, vor allem aber auch abgekoppelt von dem, was in anderen Teilen der Welt passiert. Eine Pro­vin­zia­li­sie­rung des Denkens, die Folgen hat für die soziale wie die politische Praxis.

Worum es eher geht, ist die Idee, in der Verwaltung einen Geist zu schaffen, der wieder so fort­schritt­lich oder besser progressiv ist, wie es um 1800 der Fall war. Eine Verwaltung, die sich nicht den Erfahrungen und Ver­än­de­run­gen ihrer Zeit verschließt. Den Arbeits- und Denkweisen der Startup-Kultur etwa, den „Zickzack-Biographien“, einem anderen Zeit­ho­ri­zont, radikal neuen Her­aus­for­de­run­gen durch Klimawandel, der de­mo­kra­ti­schen Krise, der wachsenden Un­gleich­heit, der tech­no­lo­gi­schen Revolution und der sogenannten Künstlichen Intelligenz.

Worum es geht, ist weniger Kritik am Bestehenden als eine Offenheit für das Mögliche. Worum es geht, ist eine positive Vision von Verwaltung und damit von Staat, die sich von dem un­ter­schei­det, was gegenwärtig verhandelt wird. Das sind von links wie rechts und auch in der Mitte vor allem Ver­satz­stü­cke eines Staats­ver­ständ­nis­ses (oder Karikaturen desselben), wie sie im 20. Jahrhundert entwickelt wurden. Es hat wenig mit unserer Zeit zu tun, wenn vor einem „zu großen Staat“ gewarnt wird – es geht vielmehr darum, gemeinsam neu zu definieren, was überhaupt mit Staat gemeint ist, wie er funk­tio­niert und wie er gestaltet ist.

Wie können wir also eine lernende Verwaltung schaffen? Eine Verwaltung, in der eine Feh­ler­kul­tur herrscht, in der ein Ex­pe­ri­men­tier­wil­le gefördert wird, mit Team­struk­tu­ren, flachen Hierarchien, neuen Kar­rie­re­we­gen, leis­tungs­ori­en­tiert, aber fair, mis­si­ons­ge­trie­ben im ge­sell­schaft­li­chen Re­so­nanz­raum? Wie können die in­sti­tu­tio­nel­len wie die in­tel­lek­tu­el­len, die emotionalen wie die mentalen Vor­aus­set­zun­gen geschaffen werden, all die viel­fäl­ti­gen Ar­beits­wei­sen und Methoden, wie sie etwa in der Startup-Welt erprobt werden, zum de­mo­kra­ti­schen Nutzen einzusetzen?

Die Verwaltung, so scheint es, ist oft gefangen in der eigenen Ra­tio­na­li­tät – die aber meistens sofort infrage gestellt wird, wenn man mit Menschen in der Verwaltung spricht. Was wäre also, wenn alles anders wäre? Wie würde eine Verwaltung aussehen, die ganz aus dem Heute gedacht ist? Was müsste geschehen, damit dieses Heute Wirk­lich­keit wird? Wie geht es also, neue In­sti­tu­tio­nen von der Zukunft her neu zu denken und zu gestalten? Wie schaffen wir das Vertrauen, in den In­sti­tu­tio­nen, dass Veränderung nicht vor allem eine Gefahr für bestehende Si­cher­hei­ten ist?

Was ist das positive Narrativ, das diese Ver­wal­tungs­re­vo­lu­ti­on des 21. Jahr­hun­derts antreiben hilft? Was ist das Staatsbild, das sich aus dem ableitet, was eine post-nationale Ge­rech­tig­keits­op­ti­on ist? Wie können Impulse aus der Zi­vil­ge­sell­schaft so aufgenommen werden, dass sich die Kluft schließt zwischen dem, was der Staat genannt wird, und dem, was die Ge­sell­schaft ausmacht.

Die de­mo­kra­ti­sche Revolution des 21. Jahr­hun­derts wird eine des Staates und der Verwaltung sein. Sie ist notwendig, und sie wird gelingen, wenn die alten Ant­ago­nis­men überwunden werden.