Was wäre, wenn Bürokratie ein Miteinander wäre?
Leitung des Referats s 3 - Taskforce Energiewende, Stabstelle Transformation der Wirtschaft, Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung
Bürokratiemelder
- Digitales Kontaktformular mit vorab definierten Kategorien.
- Bürger:innen können ihre Anliegen niedrigschwellig über die Plattform kommunizieren.
- Dialog zwischen Staat und Gesellschaft wird vereinfacht.
- Politische Akteur:innen bekommen einen schnelleren Einblick, wo der Schuh drückt und welche Regeln oder Gesetze angepasst werden sollten.
Mich begeistert Begeisterungsfähigkeit. Ich habe gerne gute Laune, und vielleicht scheint das erstmal im Kontrast zu einer Leitungsposition in einem Landesministerium zu stehen. Doch wenn ich mir unsere Aufgaben und unser Team anschaue, passt das super. Ich mag fröhliche Menschen, keine Bedenkenträger – und wir arbeiten daran, dass Niedersachsen leichter, unbeschwerter und weniger kompliziert wird.
Bürokratieabbau ist übrigens keine Frage von Parteizugehörigkeit oder der politischen Farbe der jeweiligen Hausleitung. Die Idee des Bürokratiemelders findet übergreifend großen Anklang. Er ist eine niedrigschwellige Möglichkeit für Bürger:innen und Unternehmen, ihre Sorgen, Nöte und Anregungen loszuwerden – eine einfache Verbindung zwischen der Bevölkerung und dem Staat. Wir waren schon längere Zeit vorher telefonisch erreichbar, doch das Telefon blieb die meiste Zeit still. Diese Hemmschwelle wurde durch ein einfaches Kontaktformular mit dem Namen 'Bürokratiemelder' ersetzt.
Das Ziel des Bürokratiemelders geht jedoch über einen digitalen Kummerkasten hinaus. Wir wollen die Verwaltungs-Bürokratie und die Abläufe 'dahinter' vereinfachen. Was verzichtbar ist, muss abgebaut, was nicht funktioniert, muss pragmatisch angepasst werden.
Auf dem Weg haben wir den Bürokratiemelder weiterentwickelt. Die ersten Meldungen waren häufiger unpräzise. Von den Melder:innen haben wir die nötigsten persönlichen Daten und ihre Nachricht abgefragt. Im November 2020 haben wir in einer zweiten Iteration das Formular verbessert. Die Nutzbarkeit wurde optimiert, und es gibt seitdem klare Kategorien zur Auswahl, die es den Meldenden und uns erleichtern. Die Qualität der Meldungen ist seitdem gestiegen und wir können die Fälle schneller zuordnen.
Unser Bürokratiemelder entwickelte sich zu einer Plattform für pragmatische Hilfe. Manche Anliegen erfordern die Vermittlung an die richtigen Ansprechpersonen, andere führen zur Entwicklung von FAQs für neue Gesetze. Das Team versucht, individuell zu helfen. Ein Beispiel: Bei dem Förderverfahren der umfangreichen Corona-Hilfen des Landes wurden nach Meldungen Verbesserungen angestoßen. Die Folge: Der 17-seitige Antrag wurde verkürzt.
Der Bürokratiemelder enthüllt Potenzial, wo Praktiken, Regeln und Gesetze angepasst werden sollten. Wir bekommen direkt mit, wo der Schuh drückt und sind damit näher an den Bürger:innen und den Unternehmen. Durch den Bürokratiemelder werden wir auch auf Themen aufmerksam, die im Anschluss im Ministerium aufgegriffen werden. Beispielsweise wurden wir aktiv, um Balkonkraftwerke einfacher zuzulassen. Insgesamt würde ich sagen, dass die meisten Fälle positiv verlaufen und die Menschen, die sich melden, hinterher zufriedener sind.
Wir wollen den Bürokratiemelder gerne größer denken. Dazu haben wir die Idee schon in einem Bund-Länder-Gremium platziert, trafen dort jedoch auf Bedenkenträger. Aber stellen wir uns mal vor, der Bund und alle Bundesländer hätten eigene Bürokratiemelder und die wären vernetzt. Wir könnten flächendeckend abbilden, wo die drängendsten Hürden zu beseitigen sind und wären mit der Gesellschaft in ständigem Dialog.
Für uns in Niedersachsen ist der Bürokratiemelder ein Werkzeug für Bürgerbeteiligung, nicht nur eine Idee, sondern eine lebendige Realität, die den Staat von morgen mitgestaltet.
Vanessa Albowitz arbeitet im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung. Dort leitet sie in der Stabsstelle Transformation der Wirtschaft das Referat S 3 – Task Force Energiewende (Geschäftsstelle MW), Verfahrensvereinfachung.
Was bedeutet es, hinzuhören?
Die Beziehung zwischen Bürger:innen und Staat ist gekennzeichnet durch Misstrauen. Diese Distanz im Staat wird sichtbar, wenn eine staatliche Institution eine kleine Innovation braucht, um mit Bürger:innen in den direkten Dialog zu kommen. Das weitere Auseinanderdriften von Lebensrealitäten und Verwaltungshandeln ist eine Gefahr für den Zusammenhalt und die Demokratie.
Die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft wurde in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Probe gestellt und sie bröckelt. Das belegen verschiedene wissenschaftliche Studien: Gemäß einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung glauben 84 % der Bürger:innen, dass es künftigen Generationen schlechter gehen wird (vgl. Best, Decker, Fischer & Küppers: 2023) und mehr als 51 % sind aktuell mit der Demokratie unzufrieden.
Mit dem Bürokratiemelder schwingt ein neues – oder zumindest vergessenes – Demokratieverständnis mit. Es geht für die Bürger:innen darum, gehört zu werden, sich einzumischen und Antworten zu finden, für den Staat geht es darum, hinzuhören, agil Gesetze, Regeln und Rahmen zu testen und aufzunehmen, wo Probleme liegen. Diese Erfahrung wirkt auf beiden Seiten nachhaltig. Hier entsteht Vertrauen. Diese für eine Demokratie so wichtige Beziehung kann damit erst wieder wachsen.