Was wäre, wenn wir die gute Disruption wagen würden?

Team Re:Form, ProjectTogether

Es ist, ehrlich gesagt, eine merkwürdige Erfahrung, bedrohlich, aber auch, wenn man es genau betrachtet, befeuernd: Da arbeiten wir seit Monaten, oft seit Jahren in verschiedenen Konstellationen daran, wie anders, besser, demokratischer der Staat von morgen sein kann –  formen Allianzen und stoßen doch immer wieder auf die gleichen großen strukturellen Hindernisse.

Und dann kommt die Wahl in den USA, und nicht nur Donald Trump wird Präsident, sondern gleich auch Elon Musk dazu. Er ist nicht nur oberflächlich oder rhetorisch oder auf spielerische Art und Weise daran interessiert, seine Vorstellungen von Effizienz auf die Demokratie oder den demokratischen Staat zu übertragen, oder was davon übrig bleibt – nein, er geht mit voller Härte, Konsequenz und im Chaos doch auch krasser Kohärenz an die Sache heran.

Die Sache: Der Verwaltungsstaat, so wie er in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten und eigentlich Jahrhunderten gewachsen ist, unterstützt und garantiert nicht mehr staatliches Arbeiten oder demokratische Legitimität. Diese Diagnose teilen viele bei Re:Form. Die Antworten allerdings sind unterschiedlich, innerhalb von Re:Form, im politischen deutschen Raum und ganz sicher in den USA, wo gerade die volle Wucht der techno-politischen Disruption sichtbar wird.

Was bedeutet das für uns? Für uns bei Re:Form, für uns im deutschen politischen Kontext, für die Wahl und für die Zeit danach? Was bedeutet es für die nächste Bundesregierung, die – da sind sich die allermeisten einig, von den Pionier:innen in der Verwaltung bis zum präsidialen Staatsreform-Team um Julia Jäkel – in den kommenden vier Jahren Grundsätzliches in Staats-Architektur und Staats-Praxis ändern muss. Sonst droht die Veränderung von anderer Seite zu kommen, und ziemlich sicher nicht mit demokratischen Intentionen.

Eines ist auf jeden Fall deutlich geworden: Wir müssen handeln, wir müssen mutig handeln, wir müssen weiter neue Allianzen bauen und auch Sie, Euch, Dich gewinnen, die bislang noch nicht mitgemacht haben. Der Staat, das sind wir alle, die Staatsreform ist eine Demokratieaufgabe, sie geht alle an und wird nur als gemeinsames, als Gesellschaftsprojekt gelingen.

Wenn wir das System nicht von innen reformieren und die Handlungsfähigkeit erhöhen, wächst die Unzufriedenheit bei den Menschen und die Gefahr steigt für eine Disruption à la Musk auch in Deutschland in 2029. Das ist das Paradox unserer Zeit: Wer die Abrissbirne verhindern will, der muss mutige Reformen priorisieren. Wer Stabilität des Systems will, muss maximal mutige Reformen in den nächsten vier Jahren schaffen.

Gleichzeitig braucht es für die Reformen auch fordernden Druck von außerhalb des Systems. Dieser Druck äußert sich bisher eher sach- und fachbezogen, beispielsweise in ungenügendem Klimaschutz, prekären Arbeitsbedingungen in Pflege und Krankenhäusern, baufälligen Schulen und Brücken. Bisher aber wird diese Unzufriedenheit nicht in die Forderung nach einer grundsätzlichen Veränderung, einer Staatsreform, übersetzt.

Der Wunsch nach einer besseren, angemessenen Staatsarchitektur ist da, aber oft unausgesprochen. Das Gute ist: Es gibt innerhalb und außerhalb der Verwaltung viele Menschen, die begeistert sind von dem, was an Veränderung möglich ist, eine gute Energie, die sich in den vergangenen Monaten und Jahren aufgebaut hat. Wir fangen nicht bei null an. Und das ist die Erkenntnis, wenn man sich die USA ansieht: Es ist viel mehr möglich, als man denkt.

Wie also könnte die gute, die helle, die demokratische Disruption aussehen, die sich dem widersetzt, was Elon Musk gerade mit der maximalen Staatsverachtung seines radikal-libertären Tech-Faschismus als dunkle Disruption vorführt? Der Weg inkrementeller Reformen, des Testens und Ausprobierens wird und muss weitergehen, das ist Teil der demokratischen Methodologie. Aber das, was zurzeit vor allem als Schrecken fungiert, die Disruption, kann auch eine Form von Inspiration sein. Nochmal: Es ist viel mehr möglich.

Mehr Ambition: Immer wieder stoßen wir an dieselben Grenzen, sehen wir dieselben Probleme, sei es der Föderalismus, der dringend wirklich grundlegend reformiert werden muss, sei es das Berufsbeamtentum, das zu wenig Flexibilität und Veränderung innerhalb der Personalstruktur der Verwaltung ermöglicht. Wenn aber so gut wie alle die gleiche Diagnose teilen und so gut wie alle den Konsequenzen ausweichen, dann haben wir ein Problem. Also: Wie können wir die Dinge ändern, die als nicht veränderbar gelten?

Mehr Selbstvertrauen: Sind wir wenige oder sind wir viele? Die Deutschen, so heißt es immer, sind veränderungsresistent. Stimmt das? Und wenn ja, bedeutet das dann nicht, dass es gerade an denen liegt, die die Veränderungen sehen, die notwendig sind, sie auch voranzutreiben? Es hat sich eine Ratlosigkeit, fast ein Fatalismus in der Gesellschaft etabliert, was nicht tragfähig und nicht zukunftsfähig ist. Wir brauchen Tatendrang und Elan und den Mut des Offensichtlichen und Unvermeidlichen.

Mehr Dringlichkeit: Die neue Bundesregierung muss handeln. Europa muss handeln. Die Kommunen müssen gestärkt werden. Europa und Kommunen: Es braucht eine neue Gestalt des Politischen, die sich dem Autoritären widersetzt, wie es nun auch aus den USA kommt. Die Form der Demokratie ist entscheidend für deren Inhalt und auch für deren Überleben. Jede Reform, die nicht angegangen wird, erhöht die Gefahr für die Demokratie. Das muss allen klar sein, die die demokratische Politik bewahren wollen.

Mehr Allianzen: Veränderung passiert von unten und von oben. Beides braucht Allianzen, wie wir sie bei Re:Form anstreben – jenseits von politischen Lagern, tief in die Zivilgesellschaft hinein, eine Form von Politik, die über Wahlzyklen und Umfragen hinausgeht, konstruktiv, pragmatisch, idealistisch in dem Sinn, dass die Vorstellung lebendigen und innovativen demokratischen Praxis mehr Menschen verbindet und eint, als es sich oft auch die jeweiligen Parteien zutrauen oder eingestehen.

Mehr Wirkung: Es bleibt dabei, die Kraft von Reformen zeigt sich in der Wirkung, die sie erzeugen. Das ist das Mantra vieler Veränderungen im Detail, das ist das übergreifende Leitbild für eine Verwaltung, die demokratisch bleibt und sich dem politischen Spiel entzieht. Die Staatsreform ist kein parteipolitisches Thema, es ist eine übergeordnete demokratische Notwendigkeit. Hinter dem Slogan: Ein Staat, der funktioniert, können sich viele versammeln. Danach beginnen die politischen Debatten.

Mehr Kohärenz: Hier schließt sich der Kreis. Ambition braucht eine Richtung und Koordination, das Selbstvertrauen, sodass die Dringlichkeit des Augenblicks zu neuen Allianzen führt, die sich nach Wirkung ausrichten. Wie also greifen die verschiedenen Ideen und Initiativen ineinander? Wie kann Veränderung geschehen und geplante Disruption, die dem Chaos, das andere anrichten, etwas Konstruktives entgegensetzt?

Die nächsten vier Jahren werden entscheidend sein, innerhalb der parlamentarischen Republik und außerhalb, in der Zivilgesellschaft, der eine entscheidende Rolle zukommt. Es sind aufregende und auch schwierige und herausfordernde Zeiten.

Wir sind froh und dankbar, dass wir Euch alle haben. Es ist doch so: Wer, wenn nicht wir. Wann, wenn nicht jetzt.  

Dieser Text ist am 20. Februar 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet worden. Melde Dich jetzt an

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