Demokratie ist Staatsaufgabe – und ein Staat, der nicht mehr fähig ist, das Vertrauen der Bürger:innen zu gewinnen und ihnen zu dienen, gefährdet die Demokratie. Wenn der Staat zum Problem für die Demokratie wird, ist die Lage ernst.
Es zeichnet sich immer mehr ab: Wir treten ein in einen Systemwettbewerb, der nicht nur Deutschland prägt, sondern letztlich die geopolitische Konstellation der Gegenwart: Autoritäre Systeme wie China, illiberale Regierungen wie in Ungarn oder bald die USA unter Donald Trump stellen unser demokratisches Modell auf die Probe. Die Frage lautet: Kann unsere Demokratie den Ansprüchen gerecht werden, die sie an sich selbst stellt?
Und weil das, nach Meinung aller demokratischer Parteien, in der derzeitigen Verfasstheit des Landes nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist, wird die Reform von Staat und Verwaltung zu einer Schicksalsaufgabe demokratischen Überlebens. Man muss das leider so dramatisch sagen.
Das Ende der Ampel-Koalition hat den Ernst der Lage noch einmal deutlich gemacht – und die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ rund um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der am Dienstag dieser Woche eine Gruppe von Fachleuten zusammengeholt hat, um das Thema Staatsreform umfassend anzugehen, kommt zur richtigen Zeit.
Wichtig wird dabei sein, wie konkret und umsetzungsfähig die Vorschläge sind, die dabei erarbeitet werden, und wie partizipativ der Prozess gestaltet ist. Eine Staatsreform ist keine Aufgabe für wenige, es ist ein Projekt für viele – und die Energie und Innovationskraft, die längst in der Verwaltung entstehen, sollten so weit wie möglich einbezogen werden. Eine Staatsreform wird nur gelingen, wenn ein Top-down-Ansatz mit einer engagierten Bottom-up-Bewegung verbunden wird.
Wie können wir also dafür sorgen, dass die nächste Bundesregierung, welcher Parteien auch immer, die Staatsreform von Tag eins ihrer Amtszeit, mit der notwendigen Grundsätzlichkeit angeht? Denn es ist mit Blick auf die USA ziemlich deutlich: Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus, Menschenrechte sind überall unter Druck – aber Demokratie an sich scheint für viele Menschen kein Wert zu sein, wenn sie nicht spürbar Wirkung erzeugt, Wirkung zum Positiven.
Eine Staatsreform muss für die Bürger:innen unmittelbar erlebbar werden: Ob kürzere Wartezeiten bei Anträgen, bessere digitale Dienstleistungen oder ein transparenter Umgang mit Steuergeldern – nur wenn der Staat sichtbare Vorteile bietet, wird er als zuverlässiger Partner wahrgenommen.
Wir arbeiten bei Re:Form an dieser Wirkung, wir arbeiten mit Verwaltungspionier:innen aus allen Ebenen, Bund, Land, Kommunen, am Staat von morgen. Es sind Praktiker:innen der Demokratie, die sich hier zusammenfinden, und ihre Lösungen ergeben, zusammengenommen, nicht nur einen besseren, sondern einen anderen Staat. Man könnte es, um an andere Texte und Gedanken anzuknüpfen, die in diesem Newsletter verschickt wurden, eine demütige Demokratie nennen.
Demütig, weil dieser Staat eine andere Form von Offenheit, Transparenz, Fehler- und Experimentierkultur haben würde und sich nicht nur als Dienstleister sieht oder gar als Autorität – sondern als Partner:in, als Mediator:in gesellschaftlicher Verhältnisse und Interessen, als Ermöglicher:in individueller und gemeinschaftlicher Entwicklung.
Demütig, weil das Zuhören entscheidend ist, weil es eine Durchlässigkeit der Verwaltungen geben würde, was den Austausch mit den Bürger:innen angeht und genauso die Art und Weise, wie Menschen in der Verwaltung arbeiten, wie sie hin und her wechseln können zwischen Staat, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, und damit für eine andere staatliche und demokratische Realität sorgen.
Demütig auch, weil die großen Linien nicht schnurgerade vorgegeben sind, sondern in gemeinsamen Feedback-Prozessen erarbeitet werden, nach Zielen und Missionen organisiert, auf Wirkung ausgerichtet, auf kleinteilige Korrekturen angelegt und dabei aufs große Ganze zielend. Beispielsweise könnten Experimemtierklauseln für definierte Kommunengruppen im Landesrecht verankert werden, um Anreize für innovative Vorschläge zu schaffen.
Alle großen Themen unserer Zeit, Klima, Wohnen, Bildung, Einwanderung, werden ohne eine Staats- und Verwaltungsreform in der Umsetzung stecken bleiben. Unseren Staat zu erneuern ist Teil eines gesamtgesellschaftlichen Projekts, das der parteipolitischen Logik enthoben ist. Es braucht, wie es etwa der Soziologe Steffen Mau beschreibt, eine Supermehrheit für diese Epochenaufgabe.
Sie wird nur gelingen, wenn allen klar ist, dass wir gemeinsam daran arbeiten müssen, dass der Staat von morgen wirkungsvoller ist, transparenter, demütiger, offener, experimenteller, fehler-bewusster, verbesserungsfähiger, anpassungsfähiger – mehr Partner:in als Behörde, mehr Gestalter:in als Verwalter:in. Es gibt so viele Menschen, die auf allen Ebenen schon an der Zukunft arbeiten. Wir müssen nur dafür sorgen, dass aus den einzelnen Initiativen jetzt eine gemeinschaftliche Vision und Wirklichkeit wird. Die nächsten Monate werden dafür entscheidend.
Mehr erfahren
- Initiative für einen handlungsfähigen Staat.
- Dr. Jana Marleen Walter: Was wäre, wenn Haushalts- und Finanzpolitik wirksamer organisiert wären?
- Uwe Schneidewind: Was wäre, wenn wir demütiger regieren würden?
Diese Re:flexion ist am 14. November 2024 in unserem Re:Form-Newsletter versendet worden. Melde Dich jetzt an.
The Bigger Picture
Die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ geht auf einen Vorschlag der ehemaligen Verlags-Chefin Julia Jäkel, des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle, des ehemaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück und des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière zurück, den Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aufgenommen hat.
Am 12. November 2024 versammelten sie Expert:innen verschiedener Bereiche zum ersten Mal im Schloss Bellevue. Gemeinsam erarbeiten sie jetzt konkrete inhaltliche Vorschläge für effektives staatliches Handeln. Ziel ist es, im Frühjahr nach der Bundestagswahl einen ersten Zwischenbericht vorzulegen. Der Prozess ist in verschiedene Arbeitsgruppen gegliedert:
- Sicherheit und Resilienz: mit Albrecht Broemme, Emily Haber, Prof. Dr. Marina Henke, Marco Fuchs, Prof. Dr. Claudia Major, Prof. Dr. Sönke Neitzel, Christian Reuter
- Öffentliche Verwaltung und Föderalismus: mit Werner Gatzer, Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Regina Kraushaar, Dr. Johannes Ludewig, André Neumann, Dieter Salomon, Moritz Schlageter, Sabine Schwittek, Prof. Dr. Sylvia Veit, Torsten Zugehör
- Digitaler Staat: mit Dr. Ralf Kleindiek, Dr. Constanze Kurz, Claudia Plattner, Rolf Schumann, Prof. Dr. Thomas Wischmeyer, Dr. Sabine Vogt
- Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland: mit Dr. Anne-Marie Großmann, Univ.-Prof.'in Dr. Ann-Katrin Kaufhold, Jens Meyer, Rubin Ritter, Karl von Rohr, Prof. Dr. Helmut Schönenberger, Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Birgit Steinborn, Hans-Peter Wollseifer
- Klima: mit Prof. Dr. Otmar Edenhofer, Jochen Homann, Dr. Brigitte Knopf, Christian Kullmann, Jens Schröder, Dr. Roda Verheyen
- Soziales und Bildung: mit Ines Albrecht, Univ.-Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani, Mirko Geiger, Univ.-Prof. Dr. Nina Kolleck, Prof. Dr. Kai Maaz, Prof. Dr. Rainer Schlegel, Prof. Dr. h.c. Nicola Fuchs-Schündeln, Prof. Dr. Peter Strohschneider, Eva Welskop-Deffaa
- Gelingensbedingungen gesellschaftlicher Veränderungen: mit Dr. Silke Borgstedt, Pia Findeiß, Laura Krause, Fritz Kuhn, Prof. Steffen Mau, Prof. Dr. Jasmin Riedl, Prof. Dr. Anne Röthel
Frank-Walter Steinmeier macht in seiner Rede die Dringlichkeit der Initiative deutlich: „Wenn die freiheitliche Demokratie heute auch in unserem Land wieder angefochten wird“, sagte er, „dann hat das jedenfalls auch damit zu tun, dass Menschen unzufrieden mit dem Zustand und der Leistungsfähigkeit ihres Staates sind.“