
Was wäre, wenn zukünftige Generationen einen Platz am Tisch hätten?
Sophia von Bonin, Mission Lead von Circular Futures, ProjectTogether
Die Zukunft hat es schwer dieser Tage. Statt über Zukunftsvisionen zu verhandeln, war der Wahlkampf ganz auf die Gegenwart gerichtet. Rezession, steigende Lebenshaltungskosten, Migration, alles scheint schnelles Handeln zu erfordern. Politische Entscheidungen sollen möglichst sofort Wirkung entfalten. Ist es da nicht naiv, sich eine Politik vorzustellen, die auch die Bedürfnisse zukünftiger Generationen mitdenkt?
Das politische System der Bundesrepublik ist heute darauf ausgerichtet, Kompromisse zwischen unterschiedlichen politischen Ideen zu finden und dafür Mehrheiten zu mobilisieren. Diese Kompromisse entstehen oft durch komplizierte Aushandlungsprozesse, nicht selten unter hohem zeitlichen Druck und hohen Erwartungen von Seiten der Wähler:innen und der eigenen Parteimitglieder. Gute Taktiker:innen sind dabei mehr gefragt als Zukunfts-Strateg:innen. Unter den gegebenen Umständen fällt es uns schwer, langfristig zu denken.
Dabei legt Artikel 20a des Grundgesetzes den Grundstein für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – ein klares Signal, dass auch zukünftige Generationen im politischen Handeln berücksichtigt werden müssen. Doch wie gelingt es, diese abstrakte Zielsetzung in konkrete politische Prozesse zu überführen? Wie stellen wir sicher, dass unser Handeln im Hier und Jetzt bessere Lebensgrundlagen für unsere Kinder und Enkelkinder schafft?
Die gute Nachricht: Es gibt bereits zahlreiche Ansätze aus aller Welt, die als Vorbilder dienen können. Eine Auswahl:
Wales: Der Future Generations Commissioner
Wales schuf 2015 mit dem „Well-Being of Future Generations Act“ die Grundlage, um politische Entscheidungen langfristig auszurichten. Der Future Generations Commissioner überwacht, ob öffentliche Institutionen im Sinne künftiger Generationen handeln und gibt Empfehlungen für nachhaltigere Politik. Ein Beispiel: 2010 plante die walisische Regierung den Bau eines neuen Autobahnabschnitts. Sophie Howe, damals Commissioner, kritisierte das Projekt wegen der Zerstörung anliegender Feuchtgebiete und der hohen Kosten von 1,6 Milliarden Pfund, die eine unverhältnismäßige Belastung für zukünftige Generationen darstellen. Hinzu kam, dass alternative und nachhaltigere Lösungen nicht ausreichend geprüft worden waren. Auf ihre Intervention hin wurde das Projekt 2019 gestoppt. Die geplanten Mittel wurden stattdessen in nachhaltigere Mobilitätslösungen investiert, unter anderem in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in Südwales.
Neuseeland: Das Wohlstandsbudget
Neuseeland testet mit seinem „Wellbeing Budget“ ebenfalls ein innovatives Modell gelebter Generationengerechtigkeit. Dabei müssen alle geplanten Ausgaben auf ihre Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Neuseeländern geprüft werden, wobei auch die Perspektive zukünftiger Generationen berücksichtigt werden muss.
Japan: Das Future Design Movement
In Japan versucht das Future Design Movement, die Perspektive zukünftiger Generationen aktiv in politische und gesellschaftliche Entscheidungen einzubinden. Ein besonders prägnantes Beispiel dafür ist das Future Design Forum in Kamaishi, das nach dem Tsunami von 2011 ins Leben gerufen wurde. Hier diskutierten Bürger:innen, wie die Kommune den Wiederaufbau unter Berücksichtigung der Bedürfnisse zukünftiger Generationen gestalten sollte.
Neben diesen Beispielen gibt es weltweit zahlreiche Ansätze, die zeigen, wie Generationengerechtigkeit systematisch in politische Entscheidungsprozesse integriert werden kann. Norwegen ist bekannt dafür, seine Einnahmen aus der Ölförderung in einen Staatsfonds anzulegen, der zukünftige Generationen finanziell absichern soll. In Bhutan wiederum wird mit dem Gross National Happiness Index bereits seit 1972 ein alternatives Wohlstandsmaß verfolgt, das nicht nur ökonomische, sondern auch soziale und ökologische Faktoren berücksichtigt – und dabei auch die Perspektive zukünftiger Generationen stärker einbezieht.
Die bisherigen Ansätze sind nicht perfekt. Häufig mangelt es den Strukturen und Instrumenten an Verbindlichkeit bzw. mangelnder Durchsetzungskraft, an fehlender Rollen- und Prozessklarheit oder mangelnder Unabhängigkeit. Kritiker:innen monieren zudem, dass diese neuen Strukturen und Prozesse Entscheidungsprozesse verlangsamen und verteuern können.
Bei aller berechtigter Kritik zeigen die Ansätze aber doch auf einen wachsenden Trend hin. Jedes der genannten Instrumente hilft, den aktuellen Diskurs zu weiten – und statt nur der Gegenwart, auch die Zukunft in den Blick zu nehmen. Für Verwaltungen sind das gute Nachrichten – denn sie schaffen neue Möglichkeitsfenster, mutig nach vorn zu denken, statt sich immer nur von den scheinbaren Erfordernissen der Gegenwart treiben zu lassen.
Diesen Beitrag haben wir am 17. April 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet. Melde Dich jetzt an.