Was wäre, wenn junge Menschen Innenstädte mit­ge­stal­ten würden?

Dagmar Pfeiffer, Amts­lei­te­rin Wirt­schafts­för­de­rung und Stadt­mar­ke­ting der Stadt Homburg, und Eva Neitzel, Senior Project Manager beim Institut für Hand­lungs­for­schung (IFH) Köln

 

Viele Kommunen suchen nach Wegen, junge Menschen (wieder) für die Innenstadt zu begeistern – doch oft fehlen die passenden Anreize. Der klassische Fokus auf Handel und Konsum greift zu kurz: Junge Menschen kaufen heute vieles online und haben oft nicht die Mittel für teure Frei­zeit­an­ge­bo­te oder Gastronomie. Was sie brauchen, sind bezahlbare, nied­rig­schwel­li­ge Angebote, mit welchen sie sich iden­ti­fi­zie­ren können. 

Mit dem „HOMie“ erproben wir einen neuen in­ner­städ­ti­schen Ort, der zeigt, wie solche Angebote mittels innovativer Leer­stands­nut­zung und Be­tei­li­gungs­for­ma­ten gestaltet werden können. Der Name spielt nicht nur auf das Homburger Au­to­kenn­zei­chen „HOM“ an, sondern bezieht sich auch auf den Begriff aus dem ame­ri­ka­ni­schen Slang: Ein „Homie“ ist jemand, mit dem man gerne Zeit verbringt, dem man vertraut. Genau dieses Gefühl soll der neue Be­geg­nungs­ort in der Innenstadt vermitteln: ein Raum, in dem man sich willkommen fühlt, bleiben mag und gemeinsam Alltag gestalten kann.

Das ehemalige Ladenlokal in der Homburger Innenstadt ist heute ein Be­geg­nungs­ort für junge Menschen zwischen 13 und 25 Jahre. Initiiert von der Stadt Homburg, umgesetzt von dem Institut für Hand­lungs­for­schung (IFH) Köln und gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie des Saarlandes im Rahmen des För­der­pro­gramms „Zu­kunfts­kon­zept für den Handel im Saarland 2030“, ist das HOMie ein ko-kreatives Be­tei­li­gungs­pro­jekt.

Denn wir haben HOMie von Anfang an als Reallabor konzipiert. Öff­nungs­zei­ten, Ver­an­stal­tungs­for­ma­te, sogar die Hausregeln – vieles haben wir gemeinsam mit den Ju­gend­li­chen entwickelt, getestet, wieder verworfen. Dabei ist uns eines schnell klar geworden: Ein zentraler, flexibler Raum zum Lernen und Begegnen hat in der Homburger Innenstadt gefehlt – trotz Uni, Be­rufs­schu­le und Gymnasium in direkter Nähe.

Also gestalten wir die Angebote ent­spre­chend gemeinsam mit der Zielgruppe: Tagsüber unter der Woche fungiert das HOMie haupt­säch­lich als Lernraum. Abends und an den Wochenenden wer­den­ge­mein­sam mit lokalen Partner:innen weitere Ver­an­stal­tun­gen organisiert: von der Kleider-Tausch-Party über die Foto-Motiv-Jagd bis zum Brett­spiel­abend.

Was uns besonders freut: Die Ju­gend­li­chen kommen nicht nur – sondern gestalten aktiv mit. Sie übernehmen Schichten, haben einen TikTok-Fan-Kanal gestartet oder verteilen Flyer in der Stadt. Auch politische Vertreter:innen in Homburg besuchen das HOMie – bei­spiels­wei­se zum Mitstricken am Diens­tag­abend.

Inspiriert durch Bremerhaven und andere Kommunen wurde das HOMie mit dem Ko-Pionier-Preis aus­ge­zeich­net. 

Der Erfolg des Projekts zeigt, wie Kommunen durch mutige und ko-kreative Be­tei­li­gungs­for­ma­te die At­trak­ti­vi­tät von In­nen­städ­ten wieder steigern können. Im Mittelpunkt steht dabei die nied­rig­schwel­li­ge, offene Nutzung von Räumen mit echter Beteiligung: Jugendliche gestalten aktiv mit, testen Ideen aus und erleben, dass ihr Beitrag zählt. 

Was wir durch das HOMie gelernt haben: Innenstädte können sich vor allem dann wei­ter­ent­wi­ckeln, wenn wir es uns erlauben, Prozesse offen zu gestalten. Nur wenn wir uns trauen, gemeinsam mit der Zielgruppe zu ex­pe­ri­men­tie­ren – und zu scheitern – können wir verstehen, welche Angebote wirklich gefragt sind. Es braucht nicht immer die großen Ressourcen, sondern vor allem Offenheit, Vertrauen und die Be­reit­schaft zu lernen

 

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Diesen Text haben wir am 3. Juli 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet. Melde Dich jetzt an und erhalte die neuesten Ausgaben direkt in Dein Postfach.

Nina Schiegl

The Bigger Picture

Innenstädte sind im Umbruch. Wie steht es aktuell um ihre Funktion als sozialen Räume, um ihre Teilhabe-Mög­lich­kei­ten? Wenn junge Menschen Innenstädte meiden, ist das kein Ausdruck von Des­in­ter­es­se, sondern ein Indikator dafür, dass sie sich dort weder an­ge­spro­chen noch eingeladen fühlen. Die gute Nachricht: Das lässt sich ändern, wenn wir Verwaltung als lernende Or­ga­ni­sa­ti­on verstehen.

HOMie ist ein Beispiel für ein neues Selbst­ver­ständ­nis kommunalen Handelns. Es zeigt, dass die Verwaltung Projekte mit echtem Trans­for­ma­ti­ons­po­ten­zi­al umsetzen kann, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Offenheit für Zielgruppen, Prozesse und temporäre Un­ge­wiss­heit. Vertrauen in Partner:innen und in zi­vil­ge­sell­schaft­li­ches Engagement. Als auch die Be­reit­schaft, nicht sofort versuchen Lösungen zu liefern, sondern zuerst zuzuhören und zu testen.

Reallabore wie das HOMie erlauben genau das: das kon­trol­lier­te Risiko, nicht alles von Anfang an wissen zu müssen. Sie machen die Verwaltung beweglich – und zeigen Wirkung über den Pro­jekt­kon­text hinaus. Denn HOMie ist kein fertiges Angebot, sondern ein sich ent­wi­ckeln­der Raum. Ein Ort, an dem sich junge Menschen ernst genommen fühlen, weil sie ihn mitprägen. Und ein Impuls an andere Kommunen, wie ge­sell­schaft­li­che Teilhabe neu gedacht werden kann: nicht als Zusatz, sondern als Fundament.

Gerade die öffentliche Hand, die oft unter Er­war­tungs­druck steht, alles „richtig“ zu machen, profitiert von solchen Ex­pe­ri­men­tier­räu­men. Denn hier darf nicht nur gedacht, sondern ausprobiert werden. So können Lösungen entstehen, die nicht nur passfähig sind, sondern im besten Fall eine neue Beziehung zwischen Verwaltung und Ge­sell­schaft stiften. Wenn Verwaltung sich auf diese Offenheit einlässt, wird sie hand­lungs­fä­hi­ger, nicht schwächer.