Noah Schöppl, Mitinitiator von Re:Form, fragte vor einiger Zeit an dieser Stelle: „Was wäre, wenn die Verwaltung liebevoller wäre?“ Und führte weiter aus: „Unser Verwaltungssystem ist immer noch geprägt von einem tief sitzenden hierarchischen und herrschaftlichen Organisationsprinzip.“ Eine gute Beobachtung – die allerdings zu kurz greift, da sie nicht die Ursachen dieser Symptome benennt.
Hierarchie und Herrschaft sind Folgen von Machtverhältnissen innerhalb einer Gesellschaft – und hier sind vor allem Kapitalismus und Patriarchat zentral. Sie beeinflussen Staat und Verwaltung bis heute. Beide verbindet, dass Menschen Macht über andere ausüben. Überspitzt formuliert: Im Kapitalismus üben Besitzende Macht über Nicht-Besitzende aus, im Patriarchat Männer über Frauen.
Ein Staat, der für alle funktionieren soll, muss die Machtverhältnisse überwinden, die die Gesellschaft strukturieren. Und feministische Ideen und Konzepte liefern hierbei wertvolle Ansätze. Denn Feminismus bedeutet nicht nur Geschlechtergerechtigkeit, auch im intersektionalen Sinn – Feminismus bedeutet soziale Gerechtigkeit für alle.
Nehmen wir die feministische Stadtplanung in Wien seit den 1990er Jahren: Basierend auf Verhaltensanalysen wird davon ausgegangen, dass Menschen, die Care-Aufgaben übernehmen, oft viele und kleine Wege zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen – beispielsweise für die Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen. Ein Fokus der feministischen Stadtplanung in Wien liegt deshalb auf der Schaffung von sicheren, gut beleuchteten und barrierefreien Wegen.
Ein weiterer Aspekt ist die Sprache der Verwaltung, die oft die Sprache der Macht ist: Auch mit einer anderen Sprache können wir den Staat für alle zugänglicher und gerechter gestalten. In der Verwaltung ist es üblich, Kategorisierungen und Standards zu nutzen: Wir sprechen beispielsweise von Bürgern, nicht von Bürger:innen oder, besser: Menschen. Wenn wir Verwaltung allerdings für alle zugänglich machen möchten, müssen wir eine hierarchie- und herrschaftsfreie Sprache entwickeln und eine Haltung prägen, die ohne Kategorisierung funktioniert.
Interaktionen zwischen Menschen und Staat, insbesondere Verwaltung und vor allem kommunaler Verwaltung, sind geprägt durch Machtasymmetrien. Die Unsicherheit, die so entsteht, die Angst vor Staat und der Verwaltung, bringt es mit sich, dass das Vertrauen in den Staat beschädigt wird. Vertrauen setzt voraus, dass ich weiß, dass die Verwaltung nach bestem Wissen und Gewissen für mein Wohl handelt – und sich nicht über meine Bedürfnisse hinwegsetzt.
Kategorien helfen zwar, komplexe Situationen schnell zu klären, Aufgaben zuzuordnen, Zuständigkeiten in einem föderalen System komplementär zu sortieren, arbeitsteilig als Verwaltung zwischen Bund, Land und Kommune aktiv zu sein. Aber letztlich stehen allzu oft nicht die Bedürfnisse von Menschen im Mittelpunkt, sondern die Bedürfnisse einer effizienten Verwaltung.
Wie kommen wir also zu einer Mensch-zentrierten Staatsreform und Verwaltung? Kurzfristig: Wir können einen feministischen Reflex einüben? Das kann jede:r von uns. Durch eine einfache Frage: Wer übt gerade Macht über wen aus? Ganz pragmatisch: Beim nächsten Runden Tisch, dem nächsten Austauschgespräch, der nächsten Paneldiskussion oder Expert:innenbefragung – prüft doch einmal, ob ihr wirklich alle Perspektiven gleichwertig in Eure Diskussionen und Planungen einbezieht. Oder sitzen nur die am Tisch, die es sich durch Privilegien und Macht möglich machen, Zeit und Ressource in einen Austausch mit Politik und Verwaltung zu investieren?
Mittelfristig gilt: Wir brauchen Strukturen, die die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern beseitigen. Ein positives Beispiel hierfür ist die Entwicklung des Gleichstellungsindex der obersten Bundesbehörden. Die Entwicklung zeigt, dass es möglich ist, die Anzahl von Frauen in Führungspositionen kontinuierlich zu erhöhen. Auf kommunaler und Landesebene ist das besonders dringend: 2020 waren 90 Prozent der kommunalen Spitzenpositionen von Männern besetzt. Der Frauenanteil in Stadt- und Gemeinderäten lag bei lediglich 27,7 Prozent.
Was bleibt? Der feministische Anspruch, eine Staatsreform mit Beteiligung aller Menschen zu gestalten. Die Komplexität dieses Unterfangens auszuhalten und Räume zu schaffen, in denen alle Perspektiven gehört werden und in einen Aushandlungsprozess für den Staat für morgen gehen können. Nicht allein aus der Verwaltung heraus zu entscheiden, was wichtig für Menschen ist. Sondern die Verwaltung als Mediatorin zwischen Politik und Gesellschaft zu verstehen – zum Wohle einer besseren Zukunft für alle.
Eine feministische Verwaltung ist keine Utopie. Wenn wir heute damit beginnen, feministische Grundsätze in Verwaltungsstrukturen und -prozesse zu integrieren, schaffen wir die Grundlage für eine gerechtere Gesellschaft von morgen.
Mehr erfahren
Noah Schöppl (2024): Was wäre, wenn die Verwaltung liebevoller wäre?
Was bedeutet es, wenn die Verwaltung wie ein Team arbeitet?
Eine Herausforderung staatlichen Handelns ist die Frage, ob der Staat liefert. Oder warum der Staat nicht liefert. Man kann das als „responsiveness“ beschreiben, also das Gefühl, dass da Menschen arbeiten, die verstehen, was die Gesellschaft will, was wir brauchen. Und wenn es hakt, wenn man merkt, dass da etwas nicht so funktioniert, wie es sollte, erkennt man oft, dass es an den Abläufen innerhalb der Verwaltung liegt – wie sie organisiert sind und wie falsche Prioritäten und Partikularismen die Abläufe behindern. Modul F ist ein Beispiel dafür, wie es anders gehen könnte; und verweist doch gleichzeitig auf die Dysfunktionalitäten im System: Wie können alle im Staat arbeitenden Menschen lernen, sich als ein Team Staat zu begreifen? Für diesen kulturellen Wandel müssen sich nicht nur Mitarbeitende aus Bund, Ländern und Kommunen als Kollegen begreifen, es müssen auch die Gräben zwischen Referaten und Abteilungen überwunden werden. Zuständigkeiten haben ihre Funktion, aber wenn eine risikoaverse Kultur des “Das ist nicht meine Zuständigkeit” übernimmt, verliert staatliches Handeln leicht an Dynamik. Spoiler Alert: Auch der Föderalismus hilft hier nicht wirklich weiter.