Sozialunternehmen sollten den Sozialstaat nicht duplizieren, sie können aber sehr effizient Lücken im System füllen – in Krisen, in Übergangssituationen, mit präventiven und begleitenden Angeboten, für schwer erreichbare oder übersehene Zielgruppen. Dies gelänge sehr viel effizienter, wenn diese Komplementarität als Bestandteil des Sozialstaats gewollt, gesehen und gefördert würde.

Das Überleben von Sozialunternehmen hängt in der Regel an kurz- oder mittelfristigen Projektfinanzierungen, meist für neue Ansätze und Projekte. Darunter leiden der Ausbau und die Verbesserung von bewährten Angeboten. Eine stärkere Wirkungsorientierung von Finanzierungsinstrumenten könnte hier Abhilfe leisten. Zudem können wir das Potenzial, das eine stabile Struktur in der Scharnierfunktion von Zivilgesellschaft und Ehrenamt einerseits und den sozialstaatlichen Akteuren andererseits wahrnehmen kann, oft nicht ausreichend umsetzen.

wellcome ist ein bundesweit agierendes Sozialunternehmen, das 2002 gegründet wurde und mittlerweile 32 Mitarbeitende hat. Unser Ziel ist, Eltern zu entlasten, zu beraten und zu vernetzen, damit ihre Kinder in einer liebevollen Umgebung gesund aufwachsen können. 

Wir haben festgestellt, dass es Eltern häufig an Netzwerken, Wissen oder Geld fehlt, was zu Isolation, Ausgrenzung und Unsicherheit führt – mit negativen Konsequenzen für die Beziehung zu den Kindern. Unsere Angebote reduzieren den dadurch verursachten Stress im Familienalltag und fördern die Eltern-Kind-Bindung, um ein gesundes Aufwachsen der Kinder zu ermöglichen:

  • Mit dem Programm „Praktischen Hilfe” entlasten wir Familien, die sich auf kein familiäres Netzwerk stützen können, ganz alltagspraktisch. 
  • Mit unserem Spendenfonds beraten und unterstützen wir Familien, die vorübergehend in finanzielle Not geraten.
  • Mit unser kostenlosen und werbefreien Online-Plattform ElternLeben.de beraten und informieren wir Eltern, die in ihrer Elternrolle verunsichert sind – inzwischen erreichen wir hier 250.000 Besucher pro Monat. 
  • „kindwärts” ist ein Angebot zur Unterstützung von Eltern nach der Trennung, das Bindungsabbrüchen weit entfernt getrennt lebender Eltern zu ihrem Kind vorbeugen soll. 

wellcome bietet dabei immer Hilfe zur Selbsthilfe an. Das Ziel: Präventiv dafür zu sorgen, dass aus Stress keine dauerhafte Störung der Eltern-Kind-Bindung entsteht und die Kinder sich bestmöglich entwickeln können.

Viele Angebote für Familien sind diesen nicht bekannt. Eltern fühlen sich zunehmend isoliert und in ihrer Elternrolle erschöpft und verunsichert. Oft richten sich bestehende Angebote zudem an Zielgruppen, die bereits stark belastet sind – Alleinerziehende, Armutsgefährdete, Flüchtlinge, etc. Hier ist das professionelle Hilfesystem gefragt. Mit unserem Netzwerk sind wir niedrigschwellig und nah an den Bedürfnissen der Familien – lange bevor die Familie für das Jugendamt sichtbar wird.  

wellcome arbeitet im Angebot der Praktischen Hilfe mit einer großen Trägervielfalt über alle konfessionellen und regionalen Grenzen hinweg zusammen, von Caritas, Diakonie, AWO, Paritätischem Wohlfahrtsverband bis zu freien Trägern. Diese Träger stellen eine Fachkraft für ein festes Stundenkontingent frei, die die Ehrenamtlichen in Familien vermittelt und diese berät. Diese Stellen sind oft kommunal über die „Frühen Hilfen” finanziert. Die Unterstützungsangebote des Spendenfonds werden ebenfalls über die Träger angeboten.

In allen 14 Bundesländern, in denen wellcome mit der Praktischen Hilfe nach der Geburt tätig ist, übernehmen die zuständigen Sozial- oder Familienminister:innen über alle Parteigrenzen hinweg die Schirmherrschaft für das Programm. Es wird von acht Landeskoordinatorinnen begleitet, die teilweise von Landesmitteln finanziert sind, in Hessen, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Berlin und Hamburg. Die Arbeit in Rheinland-Pfalz, den ostdeutschen Bundesländern und insbesondere Nordrhein-Westfalen wird dagegen nicht gefördert. Zudem wird die Koordination, Schulungen und Fortbildungen, Qualitätssicherung, Wirkungsmessung, Materialerstellung, Pressearbeit, Ehrenamtsakquise, etc. auf Bundesebene nicht staatlich gefördert.

Das Angebot kindwärts – Unterstützung für Trennungsfamilien – arbeitet mit Jugendämtern, Beratungsstellen, Familienbildungsstätten und Richtern zusammen, die ihre Klienten auf das Angebot aufmerksam machen. kindwärts erhält degressiv eine anteilige Förderung vom Bundesfamilienministerium sowie eine regelmäßige Förderung des Münchener Stadtjugendamts. Diese Förderungen sind aber bei weitem nicht kostendeckend.

Der Spendenfonds für Familien in Not und die Online-Plattform ElternLeben.de erhalten keine öffentliche Förderung, sondern werden ausschließlich von Privatspendern finanziert.

ElternLeben.de verweist in der individuellen Onlineberatung und im Bereich „Angebote vor Ort“ auf lokale Angebote von Familienbildungsstätten und Beratungseinrichtungen in staatlicher und freier Trägerschaft.

Die Frühen Hilfen sind vom Bund als ein präventives kommunales Angebot für alle Familien aufgesetzt worden, das auch ehrenamtliche Hilfe vorsieht. Da die Mittel seit über zehn Jahren nicht dynamisiert wurden, der Bedarf der Familien aber stark gestiegen ist, und gleichzeitig viele Träger personell und finanziell unterversorgt sind, werden Mittel zunehmend ausschließlich bereits bedürftigen Familien gegeben. Der präventive Charakter der Frühen Hilfen kann vielerorts nur noch teilweise gewährleistet werden.

Der Austausch mit den fachlichen Stellen zu unseren Angeboten funktioniert gut. Dies greift aber aus unserer Sicht zu kurz. Wir wünschen uns einen Austausch, der die Komplementarität der Angebote des Sozialstaates und der Sozialunternehmen stärker berücksichtigt. Die Flüchtlingskrisen haben hier ein gutes Beispiel gegeben: Die Zivilgesellschaft konnte sich innerhalb von Tagen koordinieren und auf die Bedürfnisse reagieren, der Staat und auch die großen Träger der Wohlfahrt brauchten Wochen und oft Monate, bis die notwendigen Strukturen standen. Bis dahin benötigten Menschen aber Unterkunft, Essen, medizinische Versorgung, Übersetzung, etc. 

Hier erfüllen Sozialunternehmen und Ehrenamt eine Kernfunktion des Staates. Damit präventive Angebote die Menschen erreichen, damit Ehrenamt optimal eingesetzt werden kann und damit Menschen in vorübergehenden Notsituationen schneller geholfen werden kann, bedarf es einer koordinierenden Struktur. Mit dem Ziel, die Qualität zu sichern, Dopplungen zu vermeiden und innovative Ansätze schnell zu skalieren.

 

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Georg Diez

The Bigger Picture

In einer sich verändernden Demokratie verändert sich auch die Rolle der Zivilgesellschaft – die historisch immer eine seltsame Randstellung hatte im deutschen demokratischen Konstrukt. Demokratie, das war auf der einen Seite die handelnde Politik, das waren die Parteien in ihren wechselnden Regierungskonstellationen – und das war auf der anderen Seite der Staat mit seiner Verwaltung, die für Kontinuität sorgten. Zivilgesellschaft, das war irgendwie alles andere, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine. Sie war organisiert, sie war ergänzend, sie war in manchem auch korrigierend.

Was fehlte, war ein dynamisches, konstruktives, gestaltendes Verständnis von Zivilgesellschaft – und eine Rolle im großen demokratischen Tableau. Damit geht aber nicht nur gesellschaftliche Energie verloren, es bleiben Ressourcen an Wissen und Engagement ungenutzt, die notwendig wären in diesen Dauerkrisenzeiten.

Die Demokratie selbst beraubt sich so einer notwendigen zusätzlichen Ebene. Eine Ebene, die Politik und Staat öffnet, durchlässig macht, aufnahmefähig für Initiativen und Ideen aus der Zivilgesellschaft, die Innovation bringen, die der Staat selbst nicht leisten kann. Die Aufgabe besteht dann darin, diesen Initiativen eine Struktur (und Finanzierung) zu geben, die passend und tragfähig ist. Das klingt nicht kompliziert, und es ist es auch nicht.

Es erfordert aber andere Denkweisen, gerade auf Seiten der Verwaltung, es erfordert andere Formen der Kommunikation und der Kooperation, mehr Experimentiergeist und mehr Vertrauen. Es wäre keine Revolution, aber ein anderes Verständnis von Politik und Gesellschaft – eines, das für die Krisen unserer Zeit besser passt. 

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