Was wäre, wenn Verwaltung wehrhaft wäre?

Julia Kümper, Co-Initiatorin von Verwaltung für Demokratie e.V., Doreen Denstädt, ehem. Thüringer Ministerin für Migration, Justiz und Ver­brau­cher­schutz sowie Co-Initiatorin von Verwaltung für Demokratie e.V., und Finja Hartwig, Co-Initiatorin von Verwaltung von Demokratie e.V.

Unsere Demokratie in Deutschland ist zunehmend bedroht. Angriffe auf ihre grund­le­gen­den Werte und In­sti­tu­tio­nen nehmen zu, de­mo­kra­ti­sche Verfahren werden immer häufiger infrage gestellt. Auch die Verwaltung steht im Fokus dieser Angriffe. Sei es durch persönliche Dif­fa­mie­run­gen oder Gewalt gegen Mit­ar­bei­ten­de bis hin zum Versuch, de­mo­kra­ti­sche Prozesse zu de­le­gi­ti­mie­ren. Das belastet unsere politische Kultur und das Vertrauen in lokale Demokratie erheblich. 

Dabei fehlt einerseits eine klare Aus­ein­an­der­set­zung damit, wie die Verwaltung ihre Pflicht zur Ver­fas­sungs­treue wahrnehmen kann, ohne Zweifel an ihrer grund­sätz­li­chen par­tei­po­li­ti­schen Neutralität aufkommen zu lassen. An­de­rer­seits gibt es aktuell keine Angebote, die auch Mit­ar­bei­ten­de in der Verwaltung auf allen Ebenen schützen.

Aus dieser Lücke heraus haben wir Anfang 2025 gemeinsam mit vielen weiteren Mitstreiter:innen der Verwaltung den Verein Verwaltung für Demokratie gegründet. Die Idee dazu ist auf dem Forum für den Staat von morgen entstanden, organisiert von Re:Form. Erste Dis­kus­sio­nen dazu begannen bereits beim Forum in Wuppertal Anfang 2024 und wurden dann sukzessive ausgebaut zu einem eigenen Workstream zum Thema  „wehrhafte Demokratie“. Daraus ergaben sich konkrete Bedarfe und schließlich die Ver­eins­grün­dung.

Unsere Vision: Alle Mit­ar­bei­ten­den der Ver­wal­tun­gen kennen, schützen und verteidigen die Demokratie auf allen Ebenen. Denn eine resiliente Verwaltung mit gemeinsamen Wer­te­ver­ständ­nis schafft Hand­lungs­si­cher­heit und stärkt Strukturen gegen de­mo­kra­tie­feind­li­che Angriffe sowie rechts­wid­ri­ges Verhalten. 

Im Zentrum unserer Arbeit steht das Verständnis, dass sich die An­for­de­run­gen an politische Neutralität und das Eintreten für unsere de­mo­kra­ti­sche Ordnung nicht wi­der­spre­chen, sondern im Gegenteil eine ver­ant­wor­tungs­vol­le Haltung innerhalb der Verwaltung verlangen.

Mit der Arbeit des Vereins möchten wir Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­ten­de un­ter­stüt­zen, ihre par­tei­po­li­ti­sche Neutralität neu zu in­ter­pre­tie­ren und sie mit dem Schutz der Verfassung zu verbinden. Dabei geht es nicht darum, die Neutralität aufzugeben, sondern vielmehr darum, sie so zu leben, dass sie die Demokratie stärkt und verteidigt. Die Verwaltung muss als eine Institution verstanden werden, die nicht nur verwaltet, sondern aktiv zum Erhalt der de­mo­kra­ti­schen Ordnung beiträgt. 

Schon kurz nach der Gründung des Vereins haben uns fast 100 Anfragen erreicht: für Workshops in Kommunen, für in­di­vi­du­el­le Beratungen, für Austausch unter Kolleg:innen. Mitt­ler­wei­le sind rund 60 Mitglieder aus sieben Bun­des­län­dern aktiv, die ihre Expertise aus den un­ter­schied­lichs­ten Bereichen einbringen, wie bei­spiels­wei­se Gesundheit, Polizei, Ver­fas­sungs­schutz, Ka­ta­stro­phen­schutz, Bildung, Wirtschaft, Klimaschutz und Per­so­nal­we­sen. 

Aktuell erarbeiten wir ex­em­pla­risch in einem Bundesland mögliche notwendige Änderungen der Kom­mu­nal­ver­fas­sung für eine re­si­li­en­te­re Kommune. In den ersten Kommunen haben wir mit Workshops den Raum für Er­fah­rungs­aus­tausch unter Kolleg:innen geöffnet: In welchen Situationen sind de­mo­kra­ti­sche Werte her­aus­ge­for­dert? Wo erwachsen daraus Hand­lungs­un­si­cher­hei­ten im Ar­beits­all­tag? Zudem haben wir gemeinsam mit vielen engagierten Partner:innen wie Politics for Tomorrow, Frag den Staat oder dem Ver­fas­sungs­blog die erste Version eines „Erste-Hilfe-Kits“ entwickelt.

Dieses Kit richtet sich an alle Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­ten­den, die in ihrer täglichen Arbeit mit Weisungen, Situationen oder Ent­wick­lun­gen kon­fron­tiert werden, die geltendes Recht oder de­mo­kra­ti­sche Grund­prin­zi­pi­en infrage stellen. Solche Situationen können ver­un­si­chern und stressig sein. Mög­li­cher­wei­se ein Gefühl von Druck, Isolation und auch Sorgen um die eigene Karriere und damit Exis­tenz­grund­la­ge auslösen. All das ist nach­voll­zieh­bar. Deshalb ist unser Rat und Credo des Vereins: Bleibt nicht allein, schafft Ver­trau­ens­räu­me mit anderen und ermutigt Euch gegenseitig. 

Im Erste-Hilfe-Kit zeigen wir Hand­lungs­spiel­räu­me auf, benennen rechtliche Grundlagen und verweisen auf Netzwerke, die Un­ter­stüt­zung bieten. So möchten wir nicht nur das Bewusstsein für die eigenen Rechte und Pflichten stärken, sondern auch konkrete Hil­fe­stel­lun­gen für den Umgang mit her­aus­for­dern­den Situationen geben. Und damit die frei­heit­lich de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung unserer Ge­sell­schaft langfristig stärken.

Natürlich gab es auch Her­aus­for­de­run­gen bei der Entwicklung des Erste-Hilfe-Kits. Rechtliche Fragen sind oft nicht eindeutig, viele Fälle wurden bislang gar nicht von Gerichten final beurteilt. Für eine größt­mög­li­che Hand­lungs­si­cher­heit haben wir deshalb aus­schließ­lich eindeutige Rechts­spre­chun­gen und Hil­fe­stel­lun­gen im Erste-Hilfe-Kit aufgenommen. Außerdem mussten wir auch mit Kritik umgehen, etwa für gen­der­sen­si­ble Sprache oder das Duzen. 

Gleich­zei­tig lernen wir negative aufgeladene Aspekte des Ver­wal­tungs­han­delns neu schätzen, wie bei­spiels­wei­se das Prinzip der Bürokratie zur Sicherung des Rechts­staa­tes und setzen aktiv ein Ge­gen­nar­ra­tiv. Eine Hand­rei­chung, wie das Erste-Hilfe-Kit, ist ein erster Impuls für Gespräche, Re­flek­tio­nen und Austausch. Die letzten Monate haben uns gezeigt, wie groß der Un­ter­stüt­zungs­be­darf ist, dem wir nachkommen wollen und müssen. Für eine Ver­wal­tungs­zu­kunft auf Basis der frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung.

Deshalb freuen wir uns über aktive Mitarbeit im Verein und über finanzielle Un­ter­stüt­zung – auch, damit wir das Erste-Hilfe-Kit gemeinsam mit möglichst vielen Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­ten­den wei­ter­ent­wi­ckeln können. Mit der Creative Common Lizenz ist jede Veränderung und Wei­ter­ver­brei­tung möglich, solange der Verein Verwaltung für Demokratie benannt wird und Änderungen ge­kenn­zeich­net sind.

Unser größter Wunsch ist, dass es den Verein Verwaltung für Demokratie nicht mehr braucht. Und bis dahin erhoffen wir uns ein positives Aufladen und Neu-Beleben von wichtigen Werkzeugen unserer Verwaltungs- und Feh­ler­kul­tur, wie bei­spiels­wei­se der Re­mons­tra­ti­on

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Diesen Beitrag haben wir am 4. September 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet. Melde Dich jetzt an und erhalte die neuesten Ausgaben direkt in Dein Postfach.

The Bigger Picture

Karima Oukaddi

Wenn es um die Zukunft der Verwaltung geht, denken viele zuerst an Effizienz, Di­gi­ta­li­sie­rung oder Bürger:in­nen­freund­lich­keit. Doch Verwaltung ist weit mehr als eine Ser­vice­an­bie­te­rin. Sie ist der Schutzraum unserer Demokratie und somit ein Ort, an dem sich ge­sell­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen unmittelbar spiegeln. 

Gerade darin liegt die Spannung: Einerseits erwarten wir von der Verwaltung Neutralität, Distanz zu par­tei­po­li­ti­schen Konflikten, Ver­läss­lich­keit und Stabilität. An­de­rer­seits darf Neutralität nicht zum Schweigen führen, wenn dabei die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung infrage gestellt wird. Verwaltung ist kein neutraler Raum gegenüber De­mo­kra­tie­feind:innen. Sie muss klare Haltung für de­mo­kra­ti­sche Grund­prin­zi­pi­en zeigen und gleich­zei­tig ihre Funk­ti­ons­fä­hig­keit bewahren.

Dieses Span­nungs­feld birgt aber auch Risiken. Wenn Ver­wal­tun­gen Angriffe ignorieren, riskieren sie Vertrauen und Hand­lungs­fä­hig­keit zu verlieren. Wenn sie zu einseitig auftreten, droht der Vorwurf politischer Ver­ein­nah­mung. Die Antwort darauf kann nicht die Untätigkeit sein. Vielmehr braucht es Hand­lungs­si­cher­heit und Werkzeuge, die Mit­ar­bei­ten­den Ori­en­tie­rung geben, so wie das „Erste-Hilfe-Kit Demokratie” des Vereins Verwaltung für Demokratie. 

Die Lektion lautet: Schutz und Veränderung sind kein Widerspruch. Eine wehrhafte Verwaltung verteidigt nicht nur bestehende Strukturen, sondern entwickelt neue Formen von Resilienz. Bürokratie kann hier sogar zum Si­che­rungs­netz werden, mit klaren Regeln, nach­voll­zieh­ba­ren Prozessen und schriftlich fixierten Verfahren. Es ist die Bürokratie, die letztlich vor Willkür schützt und den Rechtsstaat stärkt.

Wehr­haf­tig­keit bedeutet also nicht Abschottung, sondern Ver­ant­wor­tung. Ver­ant­wor­tung dafür, dass die Verwaltung gleich­zei­tig mo­der­ni­siert und zugleich immunisiert wird gegen Angriffe auf ihre Grundfesten. Wenn die Verwaltung diesen Dop­pel­auf­trag annimmt, kann sie zu einem der stärksten Garanten unserer Demokratie werden.