Kommunen sind die Keimzelle unserer Demokratie. Städte und Gemeinden zeigen, wie leistungsfähig Staat und Verwaltung sein können. Sie sind ein Gradmesser des Ansehens, des Erfolgs der Wirtschaftsnation und des Investitionsstandorts Deutschland. Wenn allerdings das Zusammenwirken innerhalb der kleinsten demokratischen Einheit unseres föderalen Staates nicht funktioniert, so wird der Staat als dysfunktional wahrgenommen.

Gerade in diesen Zeiten erweist sich das als extrem gefährlich. Das Vertrauen in den Staat schwindet, die Feinde der Demokratie erstarken. Die Kommunalwahlen am kommenden Wochenende sind ein Gradmesser dafür, wie die Stimmung in unserem Land ist. Viele reden davon, wie die Demokratie verteidigt werden kann. Eine besonders gute Demokratie-Strategie wäre es schon mal, den Kommunen mehr Geld zu geben, damit sie die konkreten Probleme der Menschen vor Ort lösen können.

Lange Wartezeiten auf Kitaplätze, Terminengpässe beim Beantragen des Reisepasses, verzögerte Bauanträge, marode Straßen und Plätze, Vermüllung und Kriminalitätsschwerpunkte – das sind nur einige Schlagworte, die im Negativen vermitteln, was Lebensgefühl und Wirkung staatlichen Handelns für viele Menschen ist. Wie anders würde dagegen das Leben in vielen Regionen Deutschlands wahrgenommen, wenn jedes Kind unmittelbar einen Betreuungsplatz angeboten bekäme, wenn man spätestens am übernächsten Werktag einen Termin im Amt bekäme, wenn ein Bauantrag selbstverständlich digital erfolgt, wenn Gehwege barrierefrei, frisch gepflastert, sauber und begrünt wären und es abends hell beleuchtet, sicher und sauber in unseren Straßen zuginge.

Da wäre es fast schon egal, in welchen Farben eine Bundesregierung leuchtet und ob der Kanzler kurz angebunden oder wortreich formuliert. Politische Unzufriedenheit entsteht besonders in der kommunalen Wahrnehmung. Und hier ist die Lage ernst: Galten kommunale Verantwortliche bisweilen als die beliebtesten Akteur:innen in der Politik, werden heute kommunalpolitisch Verantwortliche immer häufiger Opfer von Angriffen, sie werden bestraft für etwas, das eigentlich seinen Grund bei Land und Bund hat.

Klar ist: Eine große Unzufriedenheit wächst insbesondere dort heran, wo Kommunen nicht handlungsfähig sind. Und hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zwischen eher urban geprägten Regionen und dem ländlichen Raum. Während große Metropolen auch dann irgendwie funktionieren, wenn die Defizite allzu grell deutlich werden, führen die gleichen Probleme andernorts zu Resignation – weil keine internationale Kulturszene vorhanden ist, weil kein ÖPNV-Angebot vor der Haustür wartet, weil der Arbeitsplatz nicht unmittelbar erreichbar um die Ecke liegt.

Aber auch das ist Deutschland, auch dort leben Menschen mit den gleichen Wünschen, Ansprüchen und weltoffenen Visionen. In dieser Chancengleichheit liegt der eigentliche Charme des föderalen Staates. Nur: In den Jahren der Hochkonjunktur profitierten nicht alle Kommunen gleichermaßen von den hohen Einnahmen. Das wirkt bis heute nach und hat erhebliche Unterschiede in der Finanzausstattung zur Folge, im Verschuldungsgrad und der Investitionstätigkeit.

Städte und Gemeinden in strukturschwachen Regionen, insbesondere jene, die einen tiefgreifenden Strukturwandel durchlaufen haben, konnten ihre finanzielle Lage in den letzten Jahren nicht nachhaltig verbessern. Im Vergleich zu Kommunen aus wirtschaftlich prosperierenden Regionen sind sie mittlerweile deutlich ins Hintertreffen geraten. Zahlreiche Studien zur Zukunftsfähigkeit verschiedener Regionen belegen dies, und auch die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Schließlich sind gleichwertige Lebensverhältnisse nicht einfach nur wünschenswert, vielmehr handelt es sich um einen im Grundgesetz formulierten Anspruch.

Das alles führt dazu, dass die Kommunen die ihnen übertragenen Aufgaben nicht angemessen erledigen können. Neben der Frage der geringen Steuerkraft vieler Städte und Gemeinden liegen maßgebliche Ursachen hierfür in der unzureichenden Höhe der Zuweisungen an die Kommunen durch die Länder, sowie in der ungelösten Altschuldenfrage, insbesondere bei den Kommunen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Hier muss sich der Bund die Frage gefallen lassen, ob die grundgesetzlich verankerte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse mit Blick auf die Finanzsituation der Kommunen noch gegeben ist.

Selbstverständlich ist eine Art kommunaler Haircut – also ein Schuldenschnitt – keine zufriedenstellende Lösung. Zu Recht mahnen Kritiker, dass sehr schnell aufgrund von mangelnden Einnahmemöglichkeiten die Verschuldung und Handlungsfähigkeit wieder eintreten könnte. Deshalb muss auch eine Reform der kommunalen Möglichkeiten zu eigenen Einnahmequellen auf den Tisch, wenn wir nicht zuschauen wollen, dass die kommunale Selbstverwaltung zur Phrase verkommt: Kommunen müssen in der Lage sein, je nach individueller Situation auch eigene Steuern zu erheben und eigen Zuweisungen zu erhalten.

Denn auch das ist wahr: Der alleinige Fokus auf die Länder in der Föderalismusdebatte greift zu kurz. Die wesentlichen politischen Herausforderungen unserer Zeit, der Klimawandel mit immer neuen Jahrhundert-Wetterereignissen, die Verkehrswende auch in ländlichen Räumen, die Bauwende, der Umgang mit Geflüchteten und vieles mehr, liegen in kommunaler Verantwortung. Deutschland kann sich nicht erlauben, diese wichtige politische Ebene am langen Arm verhungern zu lassen, wenn es um die besten Lösungen für die anstehende Transformation geht.

Es zeigt sich: Kommunalpolitik ist oft sachorientierter und weniger anfällig für parteipolitisches Gezänk. Die Erwartungshaltung ist dementsprechend hoch: Alle wollen, dass unsere Städte grüner, sicherer und barrierefreier werden, dass Glasfaser verlegt, bezahlbarer Wohnraum geschaffen, die ärztliche Versorgung sichergestellt wird – plus Wachstumsimpulse für die Wirtschaft, Stärkung von Feuerwehr und Katastrophenschutz, gute Schulen und Kitas und alles mit einem attraktiven ÖPNV erreichbar.

Alleine die dafür nötigen Personalaufwendungen samt Tarifabschlüssen stellen die Kommunen vor Mammutaufgaben. Wenn es uns daher ernst ist mit unserem föderalen und subsidiären Staatsaufbau, wenn wir bereit sind zu akzeptieren, dass die Unterteilung in große und kleine Politik letztlich nur eine Unterscheidung zwischen guter und schlechter Politik ist, dann brauchte es endlich einen Ruck durch die Ebenen. In einer umfassenden föderalen Finanzreform müssen die Kommunen ihren Aufgaben und Leistungsdaten entsprechende Ausgleichsleistungen erhalten – und zwar im Rahmen einer bundesweiten Betrachtungsweise, ähnlich dem Länderfinanzausgleich.

Nur so kann echte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse hergestellt werden. Ein Weiter-So wäre ein fatales Signal für unseren Rechtsstaat und die Rolle, die den Kommunen darin zugedacht ist. Was es jetzt braucht, ist ein beherztes föderales Bekenntnis zur kommunalen Selbstverantwortung. Nur über diese bürgernahe Ebene kann die Spaltung der Gesellschaft überwunden werden und neues Vertrauen in 'die Politik' geschöpft werden. Die Alternative ist, dass wir sagen, dass wir uns den föderalen Staatsaufbau in dieser Form nicht mehr leisten wollen. Denn nur zum Verwalten des Rückgangs und der Strukturschwäche nach dem Motto 'zum Sterben zu viel, zum Leben wenig' würden wir dem Anspruch Freiherr vom Steins zur 'freien schöpferischen Kraft der kommunalen Selbstverwaltung' kaum mehr gerecht werden.

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Diese Re:flexion ist eine ausführlichere Version eines Gastbeitrags von Tobias Hans für Table.Media, erschienen am 6. Juni 2024.

The Bigger Picture

Was bedeutet es, wenn die Verwaltung wie ein Team arbeitet?

Eine Herausforderung staatlichen Handelns ist die Frage, ob der Staat liefert. Oder warum der Staat nicht liefert. Man kann das als „responsiveness“ beschreiben, also das Gefühl, dass da Menschen arbeiten, die verstehen, was die Gesellschaft will, was wir brauchen. Und wenn es hakt, wenn man merkt, dass da etwas nicht so funktioniert, wie es sollte, erkennt man oft, dass es an den Abläufen innerhalb der Verwaltung liegt – wie sie organisiert sind und wie falsche Prioritäten und Partikularismen die Abläufe behindern. Modul F ist ein Beispiel dafür, wie es anders gehen könnte; und verweist doch gleichzeitig auf die Dysfunktionalitäten im System: Wie können alle im Staat arbeitenden Menschen lernen, sich als ein Team Staat zu begreifen? Für diesen kulturellen Wandel müssen sich nicht nur Mitarbeitende aus Bund, Ländern und Kommunen als Kollegen begreifen, es müssen auch die Gräben zwischen Referaten und Abteilungen überwunden werden. Zuständigkeiten haben ihre Funktion, aber wenn eine risikoaverse Kultur des “Das ist nicht meine Zuständigkeit” übernimmt, verliert staatliches Handeln leicht an Dynamik. Spoiler Alert: Auch der Föderalismus hilft hier nicht wirklich weiter.

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