Was wäre, wenn wir den Deutschland-Stack vorantreiben?
Ein Positionspapier von Dirk Meyer-Claassen, Abteilungsleitung Strategie, Steuerung, Recht und Prozesse, Senatskanzlei Berlin, und Thilak Mahendran, Innovation Lead, Agora Digitale Transformation
Trotz Milliardeninvestitionen ist die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland bisher nicht durchschlagend erfolgreich. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) hat die Erwartungen nicht erfüllt. Viele technische Komponenten wie BundID, eID, ePayBL oder FIT-Connect existieren – werden aber zu wenig genutzt, sind schwer integrierbar oder nur für einzelne Verwaltungsebenen zugänglich. Bürger:innen erleben digitale Verwaltung daher oft als kompliziert, unzuverlässig und selten wiederverwendbar.
Der Begriff „Deutschland-Stack“ steht aktuell für die Hoffnung, eine zentrale digitale Infrastruktur zu schaffen. Doch je mehr Erwartungen hineingepackt werden, desto größer wird die Enttäuschung, wenn sie nicht erfüllt werden. Ein Blick ins Ausland zeigt: Erfolgreiche digitale Plattformen gründen auf drei Bausteinen:
- Vertrauensdienste (beispielsweise Authentifizierung, Signatur)
- Interaktionsdienste (beispielsweise Kommunikation, Bezahlung)
- Datendienste (beispielsweise Datenzugriff, Transportinfrastruktur)
Diese Dienste entfalten ihre Wirkung aber nur, wenn sie in einer offenen, verbindlich genutzten Infrastruktur zusammenwirken – nicht nur innerhalb der Verwaltung, sondern auch für Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die technischen Grundlagen für einen Deutschland-Stack sind bereits vorhanden. Was fehlt, sind: einheitliche Standards und Qualität, eine verbindliche Nutzung durch Bund, Länder und Kommunen, und offene Zugänge für Dritte.
Ohne klare Regeln entstehen an vielen Stellen ähnliche Lösungen parallel. Das verschwendet Ressourcen und erschwert Anschlussfähigkeit. Was jetzt nötig ist, sind Klarheit, Struktur und Umsetzungskraft. Das neue Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung sollte sofort eine Taskforce einsetzen, die:
- zentrale Komponenten wie BundID, ePayBL, FIT-Connect und ELSTER auf einheitliche Qualitäts- und Sicherheitsstandards bringt.
- unnötig komplexe oder veraltete Systeme überarbeitet oder einstellt.
- Wiederverwendbarkeit für Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sicherstellt – durch dokumentierte Schnittstellen (APIs), einfache Self-Services und offene Standards.
- den Stack mit den wichtigsten Verwaltungsleistungen verbindet und gleichzeitig Schnittstellen zu Banken, Versicherungen sowie zivilgesellschaftlichen Akteur:innen schafft
Die Taskforce sollte agil arbeiten können, mit klaren Zielen, fachlicher Expertise aus Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft und unter transparenter politischer Begleitung. Dazu braucht die Taskforce Rückhalt und Richtung, durch:
- einen gemeinsamen politischen Beschluss der Bundesregierung und der Ministerpräsidentenkonferenz.
- einen frühen Dialog mit den digital-politischen Sprecher:innen der demokratischen Bundestagsfraktionen.
- eine enge Einbindung der Länder und Kommunen, insbesondere solcher mit Digitalerfahrung.
- Unterstützung von kommunalen Spitzenverbänden und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen.
Das Ziel sollte sein, eine föderale, parteiübergreifende Koalition der Willigen zu schaffen, die gemeinsam den Deutschland-Stack verbindlich nutzt und weiterentwickelt. Schließlich muss ein zukunftsfähiger Deutschland-Stack von Anfang an offen gedacht werden:
- Wirtschaft, Gesundheitswesen, Sozialverbände, Forschung und andere Sektoren sollten ihre Anforderungen frühzeitig einbringen können.
- Der Stack muss technisch und rechtlich von Dritten nutzbar sein – als gemeinsame digitale Infrastruktur, nicht nur für die Verwaltung.
Nur so kann eine breite Nutzung entstehen – und damit Akzeptanz, Effizienz und Innovationskraft.
Unsere Handlungsempfehlungen im Überblick:
Eine Taskforce aufsetzen, die:
- zentrale Dienste technisch ertüchtigt und unnötige Systeme abschaltet.
- IT-Sicherheit stärkt und Qualitätsstandards vereinheitlicht.
- Self-Services und offene Schnittstellen schafft.
- durch den Bund finanziert ist.
- fachlich besetzt ist, agil und transparent arbeitet.
Politische Flankierung sicherstellen, durch:
- ein gemeinsames Eckpunktepapier von der Bundesregierung und Ministerpräsidentenkonferenz.
- einen frühzeitigen Dialog mit demokratischen Bundestagsfraktionen, Ländern und Kommunen.
- Unterstützung von kommunalen Praxispartner:innen und zivilgesellschaftlichen Gruppen.
Dritte aktiv einbinden:
- Anforderungen von Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Forschung aufnehmen.
- Offene Nutzung technisch und rechtlich ermöglichen.
- Zugang barrierefrei und attraktiv gestalten.
Langfristige Governance sichern:
- Deutschland-Stack als Produkt im IT-Planungsrat verankern.
- Die FITKO mit Betrieb und Weiterentwicklung beauftragen.
Der Deutschland-Stack ist kein weiteres Projekt, sondern die digitale Grundlage für modernes staatliches Handeln. Wenn wir ihn technisch stabil, offen nutzbar und politisch verbindlich gestalten, kann er zum Rückgrat einer digitalen Verwaltung und eines starken digitalen Ökosystems in Deutschland werden. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam loszulegen.
Foto von Dirk Meyer-Claassen: Marlene Charlotte Limburg
Foto von Thilak Mahendran: Agora Digitale Transformation / Robert Günther
Diesen Beitrag haben wir am 17. Juli 2025 in unserem Re:Form-Newsletter versendet. Melde Dich jetzt an und erhalte die neuesten Ausgaben direkt in Dein Postfach.