Was wäre, wenn wir analoge Ver­wal­tungs­leis­tun­gen in zwei Tagen di­gi­ta­li­sie­ren könnten?

Martina Nolte, Teamleitung eGovernment, Chantal Rexhausen, Senior Beraterin Project Management Office (beide Stadt Mön­chen­glad­bach)

 

Überlastete Bürgerämter, kom­pli­zier­te Anträge und lange Wartezeiten prägen die Verwaltung in Deutschland. Trotz des seit 2017 geltenden On­line­zu­gangs­ge­set­zes (OZG), kämpfen Behörden mit einer heterogenen IT-Landschaft, komplexen Datenschutz- und Si­cher­heits­an­for­de­run­gen. Dazu kommen lange Liegezeiten, Mail-Ping-Pong, lang­wie­ri­gen Ent­schei­dungs­ket­ten oder un­ter­schied­li­che Per­spek­ti­ven, die erst mühsam zu­sam­men­ge­führt werden müssen. Di­gi­ta­li­sie­rungs­pro­jek­te dauern so oft länger als erwartet.

Deshalb haben wir in Mön­chen­glad­bach das „OZG-Bootcamp entwickelt: ein agiles, nut­zer­zen­trier­tes Workshop-Format, das die Di­gi­ta­li­sie­rung von Ver­wal­tungs­leis­tun­gen radikal be­schleu­nigt. Innerhalb von zwei Tagen übersetzen in­ter­dis­zi­pli­nä­re Teams analoge An­trags­pro­zes­se in digitale Prototypen, die im Anschluss getestet werden. Das nötige „Go“ der Füh­rungs­ebe­ne wird im Vorfeld eingeholt. Im Workshop selbst sitzen die Expert:innen, die den Service fachlich durch­drin­gen und täglich damit arbeiten. So entstehen in kurzer Zeit ver­ständ­li­che Online-Services – von der ersten Nutzerreise bis zum fertigen Ser­vice­por­tal.

Seit dem Start des OZG-Bootcamps in 2021 haben wir viele unserer Ver­wal­tungs­leis­tun­gen di­gi­ta­li­siert – schnell, rechts­kon­form und mit Fokus auf Nut­zer­zen­trie­rung. Als wir mit dem Workshop-Format gestartet haben, lag unser OZG-Um­set­zungs­grad bei 1 %. Heute, vier Jahre später, liegen wir bei 90 %. Für diese Leistung sind wir 2025 von Re:Form und dem Deutschen Städte- und Ge­mein­de­bund mit dem Bewährt vor Ort-Siegel aus­ge­zeich­net worden, das bewährte Lösungen in der Verwaltung sichtbar macht.

Besonders stolz sind wir auf die hohe Akzeptanz innerhalb unserer Verwaltung und die in­ter­kom­mu­na­le Wirkung: Mehrere Kommunen haben bereits bei uns hospitiert, um das OZG-Bootcamp ken­nen­zu­ler­nen und selbst umzusetzen. Auch die im Bootcamp ent­wi­ckel­ten Services werden bereits von anderen Städten nachgenutzt (ganz nach dem „Einer-für-alle-Prinzip”, kurz Efa). 

Unser per­sön­li­ches Highlight: der digitale Pas­sier­schein A38, inspiriert von der berühmten Filmszene aus „Asterix erobert Rom“. Mit dem humorvollen Service können Bürger:innen spielerisch testen, wie ein digitaler Antrag und die Nutzung der BundID funk­tio­nie­ren, und zwar bevor sie unter Zeitdruck einen echten Service brauchen. Wiesbaden und Mainz haben den Pas­sier­schein bereits erfolgreich nachgenutzt. Ein Beweis dafür, dass agile, nut­zer­zen­trier­te Lösungen auch in der Verwaltung funk­tio­nie­ren und skalierbar sind.

Nicht jede analoge Dienst­leis­tung wird im OZG-Bootcamp vollständig di­gi­ta­li­siert. Oft wählen wir entweder besonders komplexe Services mit vielen Schnitt­stel­len oder eine erste Dienst­leis­tung als Einstieg in die Zu­sam­men­ar­beit mit einem Fachbereich. Beides wirkt: Fach­be­rei­che verstehen den Prozess, erleben, dass Di­gi­ta­li­sie­rung machbar ist und kommen danach häufig selbst mit weiteren Vorschlägen auf das Team eGovernment zu.

Gleich­zei­tig entsteht ein gemeinsames Verständnis für digitale Services, deren fachliche An­for­de­run­gen und die da­hin­ter­lie­gen­den technischen Prozesse. Wer einmal erlebt hat, wie ein digitaler Antrag entsteht, verliert die Scheu und bringt dieses Wissen in künftige Projekte ein. Dazu macht das Bootcamp auch einfach Spaß: Kolleg:innen lernen sich be­reichs­über­grei­fend kennen, feiern gemeinsame Erfolge und stärken so ganz nebenbei die internen Netzwerke, die ein oft un­ter­schätz­ter Er­folgs­fak­tor für gelingende Ver­wal­tungs­di­gi­ta­li­sie­rung sind.

Natürlich war der Weg nicht immer leicht. Zwei Tage Workshop klingen gut – sind im Ver­wal­tungs­all­tag aber schwer zu or­ga­ni­sie­ren. Die größte Her­aus­for­de­rung? Zeit frei­zu­schau­feln und Kolleg:innen zu motivieren, sich auf neue Methoden einzulassen. Doch gerade hier liegt der Schlüssel: Die in­ter­dis­zi­pli­nä­re Zu­sam­men­ar­beit schafft Erfolge, die Mut machen. Wer einmal erlebt hat, wie ein nut­zer­zen­trier­ter Service entsteht, verliert die Scheu – und wird oft selbst zur Botschafter:in.

Gerade zu Beginn war das OZG – trotz aller Kritik – hilfreich: Der gesetzliche Auftrag hat Türen geöffnet, die zuvor ver­schlos­sen waren. Heute merken wir, dass es nicht mehr nur um Pflicht­er­fül­lung geht, sondern um Überzeugung und Ge­stal­tungs­wil­len.

Mit dem OZG-Bootcamp möchten wir zeigen, dass Di­gi­ta­li­sie­rung besonders dann gelingt, wenn sie als gemeinsames Projekt verstanden wird: in­ter­dis­zi­pli­när, pragmatisch und mit Raum zum Aus­pro­bie­ren. Denn Verwaltung kann schnell, ver­ständ­lich und nut­zer­ori­en­tiert sein, wenn sie sich traut, neue Wege zu gehen.

 

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Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 04/2025 von Stadt und Gemeinde digital, sowie in unserem Re:Form-Newsletter erschienen. Melde Dich jetzt zum an und erhalte die neuesten Ausgaben direkt in Dein Postfach.

The Bigger Picture

Nina Schiegl

Kaum ein Reform-Projekt wurde in den letzten Jahren so intensiv diskutiert wie das On­line­zu­gangs­ge­setz (OZG). Der Anspruch ist hoch: Ver­wal­tungs­leis­tun­gen für Bürger:innen und Unternehmen digital zugänglich zu machen – flä­chen­de­ckend, einheitlich, nut­zer­freund­lich. Die Realität sieht vielerorts anders aus: kom­pli­zier­te Zu­stän­dig­kei­ten, technische In­sel­lö­sun­gen, fehlende Schnitt­stel­len, lange Ent­schei­dungs­we­ge und überlastete Teams, die kaum noch hin­ter­her­kom­men. Die Kritik am OZG ist berechtigt. Aber sie greift oft zu kurz.

Trotz aller struk­tu­rel­len Hemmnisse hat das OZG etwas in Bewegung gesetzt: Es hat den Di­gi­ta­li­sie­rungs­druck in die Breite getragen, Ver­ant­wort­li­che mobilisiert – und vor allem deutlich gemacht, dass Verwaltung sich verändern muss. Der eigentliche Hebel liegt jedoch nicht im Gesetz selbst, sondern in der Frage, wie Verwaltung die Umsetzung gestaltet.

Denn Di­gi­ta­li­sie­rung braucht mehr als ein Gesetz und ein technisches Update. Sie braucht einen kulturellen Wandel, der Fragen aufwirft: Wie arbeiten wir zusammen? Wer entscheidet was? Und wie gestalten wir digitale Services der Verwaltung so, dass sie zu den Le­bens­rea­li­tä­ten der Menschen passen?

Dazu braucht es Räume, in denen ausprobiert werden darf. Mit in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Teams, klaren Ver­ant­wort­lich­kei­ten und dem Mut, Prozesse zu hin­ter­fra­gen, zeigt das OZG-Bootcamp in Mön­chen­glad­bach ein­drucks­voll, was möglich ist. Nicht die Ge­setz­ge­bung di­gi­ta­li­siert die Verwaltung, sondern die Haltung, mit der wir sie umsetzen.